Ölmalerei im Zeitalter der elektronischen Medien
Einige ganz subjektive Anmerkungen zum Werk Markus Draeses
, 1995
(verbergen:)
(Der hier besprochene Maler und und der Verfasser folgender Zeilen stammen aus demselben Dorf, von derselben höheren Lehranstalt, aus ähnlichem sozialem Umfeld. Das veranlaßt den Verfasser anzunehmen, daß die von ihm entdeckten Gemeinsamkeiten, ja Identitäten von Verfahrenstechniken und inhaltlichem Ansatz im malerischen Werk Draeses und seiner eigenen musikalisch-kompositorischen Arbeit nicht rein zufällig sind, sondern in Ort und Zeit begründet und somit evtl. von Wert, dem geneigten Leser mitgeteilt zu werden.)
Wesentlich und konstitutiv erscheint mir in
Markus Draeses
malerischem Werk der zitierende Bezug zur Kunstgeschichte.
Diese Zitate finden sich auf den verschiedenen Ebenen des Werkes,
sie können sein: konzeptionell, formal, technisch oder
gar "wörtlich".
Dieses Zitatverhalten bedeutet die Aufstellung einer künstlerischen
These.
Diese These besagt, daß die Problemstellung, der sich die Kunst
gegenüber sieht, im Letzten zeitinvariant ist, - daß sich
im Laufe der Geschichte in immer wieder veränderter
Gestalt stets dieselben Fragen stellen, und daß diese selben
Fragen zu keiner Zeit endgültig gelöst werden können,
da im Gegensatz zu den Fragen die möglichen Antworten sich sehr wohl
auf unsere konkrete Situation in unserer heutigen Zeit beziehen.
(Jene "ewige Frage" ist als solche hypo-thetisch.
Wenn man sie in Worte fassen wollte, so könnte man
sie generell benennen als die Frage nach der "Möglichkeit
von Mitteilung" schlechthin.
Genauer ließe sich diese Frage für die verschiedenen
Kunstgattungen eingrenzen, welche ja jeweils auf der
Suche nach ihrem Gegenstand sind :
So sucht z.B. das Bühnenstück die Möglichkeit,
die gesellschaftliche Analyse zu strukturieren und somit
einen Diskurs zu eröffnen, die Lyrik sucht innerpsychische
Vorgänge zu objektivieren, die Musik versucht, durch
Erkenntnis zu erschüttern, etc.
Derartige grobe Beschreibungen sind für den mit einer
bestimmten Gattung beschäftigten Schaffenden jedoch
völlig untauglich, da viel zu allgemein.
Jeder Schaffende und jeder Nachschaffende wird vielmehr
diese "letzte Sinnfrage" der Kunst immer nur am konkreten
Lösungsversuch zu begreifen versuchen.
Entscheidend für unsere überlegungen ist nur, daß die
Existenz einer solchen Frage hypostatisiert wird,
- aber auch das geschieht nur durch konkretes Handeln, z.B. durch
Zitieren oder durch das, was in der Musik "Kontrafaktur" heißt.)
Zwei dieser vielen immer wieder bearbeiteten und doch nie
gelösten Fragestellungen werden von Markus Draese
ausdrücklich wieder aufgenommen, quasi zitiert.
Es sind dies die Frage nach der Darstellbarkeit der Wahrnehmung
des Raumes und die Frage nach der Darstellbarkeit der Wahrnehmung
des Lichtes.
Die Aktualität von Draeses Lösungsversuchen finde ich auf den Ebene
des Dargestellten, des vorausgesetzten Betrachters und
der Darstellungstechnik.
Unsere heutige optische Wirklichkeit ist weitgehend geprägt von
Neon, Plexiglas und Elektronenstrahlröhre.
Daß dies neuartige Anforderungen an die malerische Technik
stellt, ist eine banale Aussage und noch keine Erkenntnis, -
Neonlicht an einer Glaskante bricht sich bekanntermaßen
anders als die Abendsonne am Kreidefelsen.
Die Auswirkungen der heutigen Realität auf die Malerei
(wenn man sie betrachtet als die Suche nach der Darstellung der
Wahrnehmung) gehen aber wesentlich tiefer, sowohl auf der
Ebene des Objektes als auch des betrachtenden Subjektes :
Ein Cafe-Raum, der mit Spiegeln und Lampen, Gläsern und
leeren Rahmenkonstruktionen ein Vielzahl von möglichen
"virtuellen" Räumen innerhalb eines konkreten Raumes realisiert,
ist bereits ein Kunstprodukt, welches die alte Frage der
Definierbarkeit und Erlebbarkeit von "Raum" analysiert mit den
Mitteln der zeitgenössischen Architektur.
Diese Mittel jedoch sind in so fern grundlegend weitergehende
(als noch z.B. zu Zeiten des Impressionismus), weil die
voraussetzungslose Eindeutigkeit des Raumes, ja seine Existenz,
von der zeitgenössischen Raumgestaltung verworfen wurde
und ersetzt wurde durch die Notwendigkeit, den Raum als solchen
erst zu schaffen, hervorzubringen.
Diese Erkenntnis des dynamischen Wesens des Raumes und der
Steuerbarkeit seines Entstehungsprozesses, wie man
sie schon im trivialsten U-Bahnhof findet, ist heute
aber u.a. eine Konsequenz aus den analytischen Erfahrungen der
kubistischen Malerei.
Der Gegenstand "Cafe-Szene" trägt also --
auch schon ohne Sujet von Malerei geworden zu sein --
für jeden Betrachter schon ernste
Spuren der Kunstgeschichte in sich, und zwar als Träger seiner
Substanz.
Die allgemeine malerische Aufgabe, den Raum als solchen erfahrbar zu
machen, - die konkrete Aufgabe, einen solchen Kunst-Raum zu malen,
ist also schon an sich eine kunstgeschichtlich reflektierende
Meta-Aufgabe (Bildbeispiel 1 ).
Bildbeispiel 1: Markus Draese: "Schwarz-Sauer (blaues Haus)", 1996, Öl auf Leinwand |
Aber auch der Betrachter von heute ist ein heutiger.
In unseren Köpfen entsteht die Wirklichkeit.
Die Betrachtung einer prototypisch schönen Frau, des heldenhaften
Kampfes eines Mannes gegen eine Naturgewalt, eines klassischen
sozialen Konfliktes, einer ungestörten Naturidylle findet halt
(rein statistisch) häufiger im Kino oder im Fernsehen statt
als noch zu Zeiten unserer Väter z.B. auf der Bühne eines
Theaters, - vom wirklichen Leben ganz zu schweigen.
Im Falle des Fernsehens ist dieser Prototyp von Frau aufgelöst
im Raster von 480 zu 576 , geschützt durch eine Glasscheibe,
nicht ganz frei von ungesunder Röntgenstrahlung und Tausende
Kilometer entfernt, wird von Tausenden von Männern gleichzeitig
betrachtet und ist vielleicht schon tot.
Das alles verändert das Sehen, "Sehen" auf allen Ebenen der
Erkenntnisbildung :
Bildbeispiel 2: Markus Draese: "o.T. (nach Michelangelos)", 1992-93, Öl auf Leinwand |
Bildbeispiel 3: Markus Draese: "Henri.Gelb", 1992, Öl auf Leinwand |
Die das Heute bestimmenden Techniken der Reproduktion sind
so weit also Teil des Dargestellten und Teil der intendierten
Wahrnehmung in der Malerei Markus Draeses.
Sie gehen zum Dritten in die Techniken der Darstellung selbst ein.
Das Werk "Frühstück im Freien" (Bildbeispiel 6) ist vom Herstellungsprozeß ein Gegenstück zum "Marat" (Bildbeispiel 4)
Dieses ist (z.Zt) ein grafisches Objekt bestehend aus mehreren
kleinformatigen monochromen Blättern und entstand in einem
für Draese typischen mehrstufigen Verfahren :
Im ersten Schritt wurde das David'sche Originalgemälde
vom Künstler betrachtet, im zweiten Schritt dieses mit malerischen
Techniken des zwanzigsten Jahrhunderts "reproduziert",
im dritten Schritt diese farbgetreue Kopie in verschiedenen mehrfach
überlappenden Auschschnitten der Größe "DIN-A-3" schwarz-weiß
fotokopiert, welche Einzelblätter dann zuletzt wieder zu einem
Objekt angeordnet werden können.
Bildbeispiel 4: Markus Draese: "Marat" (Ausschnitt), 1991, s/w Copy auf Papier |
Beim Vorgang Nummer drei bildeten sich, dank eines defekten Fotokopierers, vertikale Schlieren, welche sowohl die Struktur des Farbauftrages als auch den Gestus des fließenden Blutes auf das Grausamste verdeutlichten, grausam durch die maschinelle Monotonie und Insistenz, mit welcher der Zerstörungsakt jedesmal völlig identisch wiederholt wurde.
Jene Schlieren sehe ich aber auch wie die fotografierte Dokumentation eines Säureattentates auf ein berühmtes Gemälde. So findet sich der Betrachter plötzlich in einer Handlung wieder, die das Gemälde zum Gegenstand hat, - nicht wie bei Velasquez (Bildbeispiel 5) in der Rolle des Malers, sondern in der Rolle der Charlotte Corday, welche unmittelbar einen zerstörten Körper betrachtet, während das Bild (das von David), die Rolle des Mordopfers übernimmt. Und tatsächlich, - das David'sche Bild ist ja für viele von uns ein wesentlicher Bestandteil der Realität jenes Marat, des "Bildes", das wir von Marat haben ...
Bildbeispiel 5: Markus Draese: "o.T. (nach Velasquez)", 1990, Öl/Kreide auf Leinwand |
Bildbeispiel 6: Markus Draese: " Frühstück im Freien", 1993. Dispüension auf Papier |
Die meisten Skulpturen von Draese sind, seinen Angaben folgend, dreidimensionale Realisationen von Zeichnungen von bekannten Malern vergangener Jahrhunderte.
Vorausgesetzt, daß jene Zeichnungen (zumindest potentiell) Vorarbeiten zu Gemälden sind, wären diese Skulpturen somit "Zitate zweiter Ordnung". Die Skulpturen wiederum sind dazu bestimmt, in einen konkreten Raum gestellt zu werden, der dann als ganzer beleuchtet wird, um dann Objekt der Malerei zu werden (So geschehen mit der Skulptur "Kopf" im Gemälde "Henri.Gelb" (Bildbeispiel 3)
In diesem Sinne bezeichnet Draese selbst das hier abgebildete Werk "Frühstück im Freien" (Bildbeispiel 6) als "Skulptur". Nimmt man dazu die Tatsache, daß dieses Gemälde, je nach dem WO der Betrachter steht, primär die Wiedergabe einer fotomechanischen Vergrößerung eines Druckes (auf einer Streichholzschachtel) einer Fotografie ist, gleichzeitig aber auch eine Serie von kleinstformatigen Farbkompositionen (sich also weder beziehen läßt auf die Lösungen von Signac noch auf die Thesen von Lichtenstein), dann wird anschaulich, bis zu welcher Anzahl sich die Ebenen von Darstellung und Zeichensystemen sich in den Werken Markus Draeses (seriell und parallel) häufen können, ohne sich gegenseitig zu stören und abzuschwächen, vielmehr sich gegenseitig kommentierend und gegenseitig erhellend.
Wir sehen : die komplexen Vorgänge, die heute in der Informations- gesellschaft unsere Wirklichkeit erst erzeugen, fließen sowohl in den Gegenstand als auch in die Herstellungsvefahren der Draese'schen Werke ganz bewußt ein.
Zitiert wird eben nicht nur die Eva von Michelangelos (Bildbeispiel 2) sondern auch unser Wissen über Michelangelos Zielvorstellungen und die Möglichkeiten des al fresco, unser Aufblicken und Raumerleben im Raum der Sixtinischen Kapelle, die schlechte Qualität der auf dem Petersplatz erhältlichen Postkartenreproduktionen etc.
Das malerische Werk Draeses lädt dazu ein, ganz bewußt zwischen diesen verschiedenen Ebenen von Darstellung und Wirklichkeit spazieren zu gehen, ja - lustzuwandeln, und verbindet so die eher spröde Möglichkeit, unsere Wahrnehmungstheorien zu überprüfen, mit dem sinnlichen Vergnügen, unserem Kopf beim Sehen zuzusehen.
made
2014-11-15_10h37
by
lepper
on
heine
produced with
eu.bandm.metatools.d2d
and
XSLT