Ölmalerei im Zeitalter der elektronischen Medien
Einige ganz subjektive Anmerkungen zum Werk Markus Draeses
Markus Lepper, 1995



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Liste der besprochenen Bilder
1 Markus Draese: "Schwarz-Sauer (blaues Haus)", 1996, Öl auf Leinwand
2 Markus Draese: "o.T. (nach Michelangelos)", 1992-93, Öl auf Leinwand
3 Markus Draese: "Henri.Gelb", 1992, Öl auf Leinwand
4 Markus Draese: "Marat" (Ausschnitt), 1991, s/w Copy auf Papier
5 Markus Draese: "o.T. (nach Velasquez)", 1990, Öl/Kreide auf Leinwand
6 Markus Draese: " Frühstück im Freien", 1993. Dispüension auf Papier

(Der hier besprochene Maler und und der Verfasser folgender Zeilen stammen aus demselben Dorf, von derselben höheren Lehranstalt, aus ähnlichem sozialem Umfeld. Das veranlaßt den Verfasser anzunehmen, daß die von ihm entdeckten Gemeinsamkeiten, ja Identitäten von Verfahrenstechniken und inhaltlichem Ansatz im malerischen Werk Draeses und seiner eigenen musikalisch-kompositorischen Arbeit nicht rein zufällig sind, sondern in Ort und Zeit begründet und somit evtl. von Wert, dem geneigten Leser mitgeteilt zu werden.)

Wesentlich und konstitutiv erscheint mir in Markus Draeses malerischem Werk der zitierende Bezug zur Kunstgeschichte. Diese Zitate finden sich auf den verschiedenen Ebenen des Werkes, sie können sein: konzeptionell, formal, technisch oder gar "wörtlich".
Dieses Zitatverhalten bedeutet die Aufstellung einer künstlerischen These. Diese These besagt, daß die Problemstellung, der sich die Kunst gegenüber sieht, im Letzten zeitinvariant ist, - daß sich im Laufe der Geschichte in immer wieder veränderter Gestalt stets dieselben Fragen stellen, und daß diese selben Fragen zu keiner Zeit endgültig gelöst werden können, da im Gegensatz zu den Fragen die möglichen Antworten sich sehr wohl auf unsere konkrete Situation in unserer heutigen Zeit beziehen.

(Jene "ewige Frage" ist als solche hypo-thetisch. Wenn man sie in Worte fassen wollte, so könnte man sie generell benennen als die Frage nach der "Möglichkeit von Mitteilung" schlechthin. Genauer ließe sich diese Frage für die verschiedenen Kunstgattungen eingrenzen, welche ja jeweils auf der Suche nach ihrem Gegenstand sind :
So sucht z.B. das Bühnenstück die Möglichkeit, die gesellschaftliche Analyse zu strukturieren und somit einen Diskurs zu eröffnen, die Lyrik sucht innerpsychische Vorgänge zu objektivieren, die Musik versucht, durch Erkenntnis zu erschüttern, etc. Derartige grobe Beschreibungen sind für den mit einer bestimmten Gattung beschäftigten Schaffenden jedoch völlig untauglich, da viel zu allgemein.
Jeder Schaffende und jeder Nachschaffende wird vielmehr diese "letzte Sinnfrage" der Kunst immer nur am konkreten Lösungsversuch zu begreifen versuchen. Entscheidend für unsere überlegungen ist nur, daß die Existenz einer solchen Frage hypostatisiert wird, - aber auch das geschieht nur durch konkretes Handeln, z.B. durch Zitieren oder durch das, was in der Musik "Kontrafaktur" heißt.)

Zwei dieser vielen immer wieder bearbeiteten und doch nie gelösten Fragestellungen werden von Markus Draese ausdrücklich wieder aufgenommen, quasi zitiert. Es sind dies die Frage nach der Darstellbarkeit der Wahrnehmung des Raumes und die Frage nach der Darstellbarkeit der Wahrnehmung des Lichtes.
Die Aktualität von Draeses Lösungsversuchen finde ich auf den Ebene des Dargestellten, des vorausgesetzten Betrachters und der Darstellungstechnik.

Unsere heutige optische Wirklichkeit ist weitgehend geprägt von Neon, Plexiglas und Elektronenstrahlröhre.
Daß dies neuartige Anforderungen an die malerische Technik stellt, ist eine banale Aussage und noch keine Erkenntnis, - Neonlicht an einer Glaskante bricht sich bekanntermaßen anders als die Abendsonne am Kreidefelsen.
Die Auswirkungen der heutigen Realität auf die Malerei (wenn man sie betrachtet als die Suche nach der Darstellung der Wahrnehmung) gehen aber wesentlich tiefer, sowohl auf der Ebene des Objektes als auch des betrachtenden Subjektes :

1 ---

Ein Cafe-Raum, der mit Spiegeln und Lampen, Gläsern und leeren Rahmenkonstruktionen ein Vielzahl von möglichen "virtuellen" Räumen innerhalb eines konkreten Raumes realisiert, ist bereits ein Kunstprodukt, welches die alte Frage der Definierbarkeit und Erlebbarkeit von "Raum" analysiert mit den Mitteln der zeitgenössischen Architektur.
Diese Mittel jedoch sind in so fern grundlegend weitergehende (als noch z.B. zu Zeiten des Impressionismus), weil die voraussetzungslose Eindeutigkeit des Raumes, ja seine Existenz, von der zeitgenössischen Raumgestaltung verworfen wurde und ersetzt wurde durch die Notwendigkeit, den Raum als solchen erst zu schaffen, hervorzubringen.
Diese Erkenntnis des dynamischen Wesens des Raumes und der Steuerbarkeit seines Entstehungsprozesses, wie man sie schon im trivialsten U-Bahnhof findet, ist heute aber u.a. eine Konsequenz aus den analytischen Erfahrungen der kubistischen Malerei.
Der Gegenstand "Cafe-Szene" trägt also -- auch schon ohne Sujet von Malerei geworden zu sein -- für jeden Betrachter schon ernste Spuren der Kunstgeschichte in sich, und zwar als Träger seiner Substanz.
Die allgemeine malerische Aufgabe, den Raum als solchen erfahrbar zu machen, - die konkrete Aufgabe, einen solchen Kunst-Raum zu malen, ist also schon an sich eine kunstgeschichtlich reflektierende Meta-Aufgabe (Bildbeispiel 1 ).

Markus Draese: "Schwarz-Sauer (blaues Haus)", 1996, Öl auf Leinwand
Bildbeispiel 1: Markus Draese: "Schwarz-Sauer (blaues Haus)", 1996, Öl auf Leinwand

2 ---

Aber auch der Betrachter von heute ist ein heutiger. In unseren Köpfen entsteht die Wirklichkeit.
Die Betrachtung einer prototypisch schönen Frau, des heldenhaften Kampfes eines Mannes gegen eine Naturgewalt, eines klassischen sozialen Konfliktes, einer ungestörten Naturidylle findet halt (rein statistisch) häufiger im Kino oder im Fernsehen statt als noch zu Zeiten unserer Väter z.B. auf der Bühne eines Theaters, - vom wirklichen Leben ganz zu schweigen.
Im Falle des Fernsehens ist dieser Prototyp von Frau aufgelöst im Raster von 480 zu 576 , geschützt durch eine Glasscheibe, nicht ganz frei von ungesunder Röntgenstrahlung und Tausende Kilometer entfernt, wird von Tausenden von Männern gleichzeitig betrachtet und ist vielleicht schon tot.

Das alles verändert das Sehen, "Sehen" auf allen Ebenen der Erkenntnisbildung :

  1. Die Erscheinung einer Eva Michelangelos ist genauso real wie das Mädchen von den Lottozahlen (Bildbeispiel 2),
  2. das in den Raum fallende Licht kann zu einer "Übersteuerung" der Leinwand führen, als wäre sie eine Kamera (Bildbeispiel 3),
  3. ganz "reale" Gesichter werden unscharf, als stammten sie aus alten Filmen (Bildbeispiel 4)

Markus Draese: "o.T. (nach Michelangelos)", 1992-93, Öl auf Leinwand
Bildbeispiel 2: Markus Draese: "o.T. (nach Michelangelos)", 1992-93, Öl auf Leinwand
Markus Draese: "Henri.Gelb", 1992, Öl auf Leinwand
Bildbeispiel 3: Markus Draese: "Henri.Gelb", 1992, Öl auf Leinwand

3 ---

Die das Heute bestimmenden Techniken der Reproduktion sind so weit also Teil des Dargestellten und Teil der intendierten Wahrnehmung in der Malerei Markus Draeses.
Sie gehen zum Dritten in die Techniken der Darstellung selbst ein.

Das Werk "Frühstück im Freien" (Bildbeispiel 6) ist vom Herstellungsprozeß ein Gegenstück zum "Marat" (Bildbeispiel 4)

Dieses ist (z.Zt) ein grafisches Objekt bestehend aus mehreren kleinformatigen monochromen Blättern und entstand in einem für Draese typischen mehrstufigen Verfahren :
Im ersten Schritt wurde das David'sche Originalgemälde vom Künstler betrachtet, im zweiten Schritt dieses mit malerischen Techniken des zwanzigsten Jahrhunderts "reproduziert", im dritten Schritt diese farbgetreue Kopie in verschiedenen mehrfach überlappenden Auschschnitten der Größe "DIN-A-3" schwarz-weiß fotokopiert, welche Einzelblätter dann zuletzt wieder zu einem Objekt angeordnet werden können.

Markus Draese: "Marat" (Ausschnitt), 1991, s/w Copy auf Papier
Bildbeispiel 4: Markus Draese: "Marat" (Ausschnitt), 1991, s/w Copy auf Papier

Beim Vorgang Nummer drei bildeten sich, dank eines defekten Fotokopierers, vertikale Schlieren, welche sowohl die Struktur des Farbauftrages als auch den Gestus des fließenden Blutes auf das Grausamste verdeutlichten, grausam durch die maschinelle Monotonie und Insistenz, mit welcher der Zerstörungsakt jedesmal völlig identisch wiederholt wurde.

Jene Schlieren sehe ich aber auch wie die fotografierte Dokumentation eines Säureattentates auf ein berühmtes Gemälde. So findet sich der Betrachter plötzlich in einer Handlung wieder, die das Gemälde zum Gegenstand hat, - nicht wie bei Velasquez (Bildbeispiel 5) in der Rolle des Malers, sondern in der Rolle der Charlotte Corday, welche unmittelbar einen zerstörten Körper betrachtet, während das Bild (das von David), die Rolle des Mordopfers übernimmt. Und tatsächlich, - das David'sche Bild ist ja für viele von uns ein wesentlicher Bestandteil der Realität jenes Marat, des "Bildes", das wir von Marat haben ...

Markus Draese: "o.T. (nach Velasquez)", 1990, Öl/Kreide auf Leinwand
Bildbeispiel 5: Markus Draese: "o.T. (nach Velasquez)", 1990, Öl/Kreide auf Leinwand
Markus Draese: " Frühstück im Freien", 1993. Dispüension auf Papier
Bildbeispiel 6: Markus Draese: " Frühstück im Freien", 1993. Dispüension auf Papier

4 Zur Skulptur

Die meisten Skulpturen von Draese sind, seinen Angaben folgend, dreidimensionale Realisationen von Zeichnungen von bekannten Malern vergangener Jahrhunderte.

Vorausgesetzt, daß jene Zeichnungen (zumindest potentiell) Vorarbeiten zu Gemälden sind, wären diese Skulpturen somit "Zitate zweiter Ordnung". Die Skulpturen wiederum sind dazu bestimmt, in einen konkreten Raum gestellt zu werden, der dann als ganzer beleuchtet wird, um dann Objekt der Malerei zu werden (So geschehen mit der Skulptur "Kopf" im Gemälde "Henri.Gelb" (Bildbeispiel 3)

In diesem Sinne bezeichnet Draese selbst das hier abgebildete Werk "Frühstück im Freien" (Bildbeispiel 6) als "Skulptur". Nimmt man dazu die Tatsache, daß dieses Gemälde, je nach dem WO der Betrachter steht, primär die Wiedergabe einer fotomechanischen Vergrößerung eines Druckes (auf einer Streichholzschachtel) einer Fotografie ist, gleichzeitig aber auch eine Serie von kleinstformatigen Farbkompositionen (sich also weder beziehen läßt auf die Lösungen von Signac noch auf die Thesen von Lichtenstein), dann wird anschaulich, bis zu welcher Anzahl sich die Ebenen von Darstellung und Zeichensystemen sich in den Werken Markus Draeses (seriell und parallel) häufen können, ohne sich gegenseitig zu stören und abzuschwächen, vielmehr sich gegenseitig kommentierend und gegenseitig erhellend.

5 ---

Wir sehen : die komplexen Vorgänge, die heute in der Informations- gesellschaft unsere Wirklichkeit erst erzeugen, fließen sowohl in den Gegenstand als auch in die Herstellungsvefahren der Draese'schen Werke ganz bewußt ein.

Zitiert wird eben nicht nur die Eva von Michelangelos (Bildbeispiel 2) sondern auch unser Wissen über Michelangelos Zielvorstellungen und die Möglichkeiten des al fresco, unser Aufblicken und Raumerleben im Raum der Sixtinischen Kapelle, die schlechte Qualität der auf dem Petersplatz erhältlichen Postkartenreproduktionen etc.


Das malerische Werk Draeses lädt dazu ein, ganz bewußt zwischen diesen verschiedenen Ebenen von Darstellung und Wirklichkeit spazieren zu gehen, ja - lustzuwandeln, und verbindet so die eher spröde Möglichkeit, unsere Wahrnehmungstheorien zu überprüfen, mit dem sinnlichen Vergnügen, unserem Kopf beim Sehen zuzusehen.




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