Der Formen von Fuge Drittes Heft
(Nachwort zu op. 37)
Markus Lepper, 16.08.2016


1 Entstehung. Herleitung der Form aus Entwurfskriterien

Die Sammlung "Formen von Fuge" beginnt mit des Verfassers erster gültiger Komposition, der Fuge in h-moll, die als solche die eigene Opus-Zahl "Eins" erhielt.
Sie entstand nach einem Aufenthalt mit einem Freund in Irland, im Drei-Päpste-Jahr 1978.
Rasch folgten weitere Sätze; die Fertigstellung des ersten Heftes sollte allerdings über zehn Jahre dauern.

Dabei wurde bald schon klar, dass das gesamte Werk mehr als ein "Heft" umfassen würde.
Während das erste Heft eindeutig für Pianoforte steht, und dabei jeder Satz für sich, wurde das zweite geplant als Folge von vier längeren Fugen für Instrumental-Ensemble, womöglich Streich-, Saxophon- oder E-Gitarren-Quartett, wobei die Themen der ersten Sätze im Finale zur Quadrupelfuge kombiniert werden.

Ganz im Gegensatz zu diesen war Der Formen von Fuge drittes Heft damals schon als monothematisch geplant. Und das Thema stand auch sehr früh schon fest.
Es erinnert in seinem gravitätisch beginnenden Rhythmus an das der Kunst der Fuge, welche auch sonst als zentrales Referenzwerk reflektiert wird. Die meisten weiteren formalen Entscheidungen ergaben sich nun dankenswerterweise ohne viel "Qual der Wahl" durch die jeweils "duale" Konstellation zu diesem:

  1. Als Ausgangstonart stand c-moll fest.
  2. Ebenso, dass die Anordnung der Satztypen nicht wie im Referenzwerk in zusammenhängenden Gruppen erfolgt, sondern auf die duale Weise, als sich mit jedem "Teil" wiederholendes, in sich abwechslungsreiches Raster.
    So steht eine "normale" Fuge als Kopfsatz jedes dieser Teile; im Inneren erscheint ein Kanon; als Rausschmeißer eine Doppelfuge.
  3. Als Gesamtform ergaben sich auf das natürlichste vier Teile à vier Sätze. (symbolisierend die je vier Saiten der vier Instrumente; tatsächlich eröffnet jedes Instrument einen Teil !-)
  4. Im Ggs. zum Referenzwerk ändert sich mit jedem Teil die Tonart: es geht einen Ganzton aufwärts.
  5. Im Ggs. zum Referenzwerk, welches auch auf nur einem(1) Klavier ausführbar ist, ja gerade dafür besonders geeignet, ist vorliegendes Werk damit keinesfalls ausführbar.

2 Weitere Formgebung und Fertigstellung

Nachdem der erste Satz und die zwei c-moll-Kanons fertiggestellt waren, sowie eine kurze Themenexposition der ersten Doppelfuge, blieb das Werk nahezu zwanzig Jahre liegen.
Es entstanden immer wieder Entwürfe von Fugen-Anfängen, die auch letztlich teilweise in die Kopfsätze einflossen, und Ideen und kurze Skizzen zum Finale. Auch dieser allerletzte Satz des Werkes, sein Ziel und Angelpunkt, bezieht sich selbstverständlich durch Kontrast-Stellung auf das Referenzwerk:

  1. Wenn es anhebt, bis zu seinem Anschlag Nummer

    vier/fünf
    vier

    missversteht man das erklingende

    --
    in der y-Achse gestauchte

    neue Thema

    --
    (=Thema B)

    als Anfang

    der in der t-Achse gedehnten punktierten Fassung
    --

    des bekannten Themas.

    (= Thema B)
    --

  2. Der im Referenzwerk traditionellerweise zum Abschluss gespielte Choralsatz wird hier hineingenommen in die Komposition, als Cantus Firmus. War es dort "Vor DEinen Thron tret ich hiermit", ist es hier "Wenn ich einmal soll scheiden".
  3. Die Schlussfuge des Referenzwerkes bricht ab aus äußeren Gründen; hier hingegen ist der Abbruch komponiert.

Ende August 2015 packte den Verfasser der Übermut und er öffnete das Skizzenkonvolut. Dessen Dicke war mehr Fluch als Segen: Die ca. siebzig Seiten waren zwar vorsortiert, mussten aber nun dem sich langsam herauskristallisierenden formalen Raster zugeordnet werden. Das erste was er tat war, sie von hinten nach vorne durchzunummerieren, um mit archäologischer Methode ihre Lage zu dokumentieren, und sie dann in eine Ordnungsmappe mit sechzehn Fächern zu sortieren.

Im Laufe der Jahre waren dutzend Fugen-Anfänge entstanden. Da herrschte Qual der Wahl. Dankenswerterweise erschien ein Kontrapunkt immer wieder, immer wieder unabhängig neu erfunden resp. aufgetaucht, und der musste dann ja genommen werden! Er wurde zum Beginn des zweiten Teiles, Satz 5. Ähnlich unverzichtbar ein markantes Durchschreiten des gesamten Tonraumes; dies wurde Beginn des letzten Teiles, Satz 13.

Satz 5 zeigte auch einen "doppelten Kontrapunkt in der Quinte", was selbstverständlich ebenfalls unverzichtbar schien.

Erst relativ spät fiel dem Verfasser auf, dass ja "Engführung" eine Technik ist, ohne die "Umkehrung" und "Augmentation" wenig Sinn machen (jedes Thema kann man problemlos umkehren oder augmentieren; die Kunst ist, dies dann dem Original zu kontrapunktieren !-). Andersherum aber kann Engführung durchaus auch alleine stehen.

Aus all diesen Einzelheiten ergaben sich zwanglos folgende weitere Festlegungen der Gesamtform:

  1. Der Kopfsatz Teil II erforscht systematisch das Verfahren der Engführung. (Zur besseren Übersicht der Möglichkeiten wurde eine Lilypond-Datei gesetzt, siehe unten im Anhang.)
  2. Der Beginn von Kopfsatz Teil III, als die Mitte des Werkes, bringt die Umkehrung des Themas (ein ähnlich kosmischer Moment wie in op.110 !-)
  3. Der Kopfsatz Teil IV bringt schließlich Augmentation und Diminuition.
  4. Kanons (und andere Sätze) können die so als "thematisch" exponierten Techniken vor-imitieren.
  5. Bei all diesem kontrapunktischen Aufwand ist verantwortbar, ja, dem Hörer und dem Komponisten durchaus zuträglich, dass jeweils ein Satz pro Teil "etwas freier" gearbeitet wird, als "Tanz" oder "Charakterstück".
  6. Das Finale schließlich kombiniert nicht nur Themen, sondern auch Techniken.

Folgende Tabelle fasst dies zusammen:

I II III IV
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
K K K K
(d5) (d5) (d5)
(e) Eng (E) (e) (e) (e) (e) (e) (e) (e)
(U) Umk U (U) U U
(A+D) A Aug+Dim D D
(c) (c) Chrom

Erläuterungen:
Vorimitationen und nur beiläufiges Erscheinen sind eingeklammert.
"K" = Kanon.
"d5" = doppelter Kontrapunkt in der Quinte.
"(e)" = Engführung; ist ab einem bestimmten Punkt der Komplexierung fast ubiquitär.
Ebenso "mehrfacher Kontrapunkt": Aug, Dim, Umk und Eng werden grundsätzlich in allen möglichen vertikalen Intervall-Abständen gesetzt, ohne dass dies in obiger Tabelle als Technik verzeichnet ist!
In Satz 11 treten Zeitachsenveränderung (hier: Aug) und Umkehrung nur fest gekoppelt auf; in den späteren Sätzen (hier: Dim) frei kombinierbar.
In Satz 16 treten Aug und Umk (fast) aussschlielich mit dem Thema "B", dem zitierten Hauptthema des Referenzwerkes aus.
"Chrom" = erst im allerletzten Satz treten chromatische Linien als eigener Kontrapunkt deutlich hervor.

Relativ spät stellte sich ein Problem als Lösung heraus: aus der ersten Arbeitsphase lagen bereits zwei(2) Kanons in c-moll vor. Statt nun einen davon in die Tonart eines anderen Teiles zu transponieren, wurde der Umk-Aug-Kanon als Satz 11 in den Umkehrungs-e-moll-Teil übernommen, und zwar in der Originaltonart. Dies führte zu einem eindrucksvollen emotionalen Tiefpunkt des Gesamtwerkes. Um dies zu ermöglichen, wurde ein "absichtlich naives" Scherzo (Reflex auf den Marsch aus Beethoven a-moll-Quartett op.132) dominantisch vermittelnd vorangestellt, so dass Kanon und freier Satz (verglichen mit der ersten Hälfte) die Plätze tauschen. Dies wurde für Teil IV beibehalten, so dass dieser Platztausch sich nun darstellt als Spiegelung an der Mittelachse des Werkes.

Ebenso ergab sich recht spät das doch so naheliegende Verfahren, die Kontrasubjekte der vorangehenden Finales im allerletzten Satz zu kombinieren. Das Ergebnis wurde einer bereits vorhandenen und nun erweiterten Skizze, die nur das "gestauchte Bach-Thema" exponiert, vorangestellt.

Das Finale wurde damit zur "Oktupel-Fuge": 3 alte Kontrasubjekte + das Bach-Thema original und intervallisch gestaucht + das Hauptthema + der Choral.
Genau wenn das Achtel-Thema aus "Contrapunctus Achtzehn" anhebt, bricht der Satz ab.
Das Oktupel bleibt Utopie.

Nachdem all diese Entscheidungen klar waren, komponierte sich das ganze überraschend problemlos, -- für nicht wenige Sätze wurde direkt der Lilypond-Quelltext hingeschrieben.

3 Problematisches

  1. Bei der schriftlichen Erstellung des zweiten c-moll-Kanons (nun Satz 11) wurde beim Abschreiben der Originalstimme in ihrer Rolle als späterer Kontrapunkt ein Takt übersprungen (zweiter Takt von Modellablauf A3(1) in der Oberstimme; vgl. in der Partitur Takte 27 und 46 und die jeweils folgenden.) Dies kann u.U. sogar beim Hören deutlich werden. Da das Ergebnis jedoch insgesamt befriedigend ist, haben wir den Fehler nicht korrigiert sondern als "Lizenz" markiert.
  2. Beim Selber-Hören (was man nicht zu häufig tun sollte !-) kommen dem Verfasser, je nach Stimmung, die Sätze 4, 7 und 14 manchmal zu kurz vor, als fehlte am Schluss je mindestens ein Themenauftritt. Aber "Abbruch" ist ja ein Thema das Werkes!
  3. Den tiefsten Eindruck erzielt das Finale nur, wenn der korrekte Text des Chorales mitgedacht wird, besonders die H-Dur-Stelle "wenn mir am allerbängsten".

4 Ausblick

Was der Verfasser erst nach Beendigung der Arbeit bemerkte ist das Wirken eines weiteren Chorales: die Grundtöne der vier Teile bilden die aufstrebende Ganztonskala. wie in "Es ist genung".

Ebenfalls erst (viel) später fiel auf, dass der Eisatz des Themas "B", Hautpthema der Kunst der Fuge, in Takt 108 von Satz 16, also ziemlich am Schluss, in dieser Form und Tonart, also in D-Dur, im zitierten Werk garnicht auftritt! (Nur am Ende von Cp Fünf, dort aber in punktierter Form und zugleich mit der Umkehrung.)

a Tabelle von Engführungen

Um nicht nur auf der Klaviatur sondern auch im Notenbild einen besseren Überblick über die möglichen Engführungen zu gewinnen, druckt folgender Lilypond-Quelltext diese in allen möglichen vertikalen und horizontalen Abständen:

% engf .ly

\include "fvfInclude.ly" 

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}
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