Köngliche Hoheit und das Leitmotiv
Anmerkungen zu einem doch nicht ganz so
flachen Roman von Thomas Mann
, 1975
Die Leitmotiv-Technik aus den Opern Richard Wagners wird von
Thomas Mann bewußt auf die Literatur übertragen.
Dies ist besonders gut nachzuweisen in den Romanen "Königliche Hoheit",
wo die Leitmotiv-Technik explizit erwähnt wird, und "Doktor Faustus",
der ein Komponistenschicksal beschreibt.
|
1
Einleitung: Mann und Wagner, Leitmotiv und Ironie
2
Leitmotive im "Rheingold"
3
Zwischenspiel: Motive und Zitat in Bachs Weihnachtsortatorium
4
Der Roman "Königliche Hoheit" und die Leitmotiv-Technik
4.1
Bewußte Ironie in den Gesprächen der Protagonisten
4.2
Ironie durch Leitmotive im Text des Romans
4.3
Architektonische Funktion von Motiven in "absoluter",
sinfonischer Musik
4.4
Architektonische Funktion von Motiven bei Mann
4.5
Ironie durch Bewichtung des unironisch Unwichtigen
4.6
Zusammenfassung
5
Ethisch ernstere Themen und die Motivtechnik in
Doktor Faustus
6
Bittere Konsequenz und Ausblick
Bibliographie
(ausblenden)
(ausblenden)
(136 Takte lang Es-Dur, zunehmendes Wogen und Wabern im Orchester, zunehmende Unruhe im Publikum) |
Hörbeispiel 1: Vorspiel zu "Das Rheingold", beim Einsatz der Singstimme ausblendend. |
Was wir soeben gehört haben, war über einhundert Takte lang Es-Dur, hauptsächlich ein einziger Dreiklang. Was war nun das besondere daran? Nun, er stammt von Wagner.
Die Kunst Richard Wagners, so umstritten sie ist (und daß sie heute noch heiß wie je umstritten ist, zeigt ihre Bedeutung!) war von je her ein kulturelles Faktum und forderte von anderen Künstlern, nicht nur Musikern, Beachtung und Auseinandersetzung, durch ihren Anspruch und ihren Einfluß.
Dieser Auseinandersetzung konnte auch Thomas Mann nicht entgehen, ja, er suchte sie sogar aus verschiedensten Gründen. Sie spiegelt sich bei ihm seltsam doppelschichtig im Werke wieder: Einmal im Vordergrund, wo er sich offenkundig parodierend oder ernsthaft um Wagnerschen Stoff bemüht(Zauberberg, Tristan, Wälsungenblut), andererseits aber nimmt er Wagnersche Züge in seine Romanhintergründe, Handlungs- und Spannungsgeflechte auf, die Technik nämlich des Motivs, des Leitmotivs, deren inhaltliches Äquivalent die Ironie ist.
Um von beiden nicht nur einen rationalen Beweis zu liefern, sondern, was noch schwieriger ist, einen fühlbaren Eindruck zu vermitteln, werde ich einerseits den Begriff des Motivs bei Wagner anhand der ersten Rheingold-Szene, dessen Vorspiel wir gerade hörten, erläutern, verbunden mit alle seinen technischen und ideologischen Konsequenzen, andererseits aber auch versuchen, den mehr oder weniger tiefen, stets aber packenden Eindruck, den Wagners Musik auf jeden wohl nach etwas Beschäftigung hat, zu vermitteln.
Nicht leichter als über unbekannte Musik scheint es mir, über einen wohl allen (oder kennt ihn jemand?) unbekannten Roman zu referieren, anhand dessen ich oben behauptete Entsprechung nachweisen will, nämlich "Königliche Hoheit" (Erstausgabe [KgH], Seitenzahlen im folgenden nach [KgH2]).
Was ist denn nun ein Motiv? Man muß da wohl unterscheiden zwischen ursprünglichem, in aller Kunst wirkendem Hintergrund, und der bewußten Verwendung des Phänomens und des Begriffes in Wagnerschem Sinne.
Zum ersten, der musikalisch-künstlerischen Erscheinung, schreibt Heinrich Schenker in seiner Harmonielehre ([schenkerHL]) :
"(Paragraph zwei:)
Woher aber sollte die Musik die nötigen Ideenassoziationen nehmen, da
die Natur selbst sich ihr verweigert hat? Endlich wurde auch die
Ideenassoziation der Musik entdeckt: Es war das Motiv!
Das Motiv und nur diess allein ist die einzige Ideenassoziation, die die Musik
aufweist. Sie ist die erste, grundlegende und vor allem eingeborene Assoziation.
Das Motiv ist solcherart berufen, der Musik das zu ersetzen, was den anderen
Künsten zum Segen gewroden, nämlich die ewige und gewaltige Ideenassoziation
der Natur.
(Paragraph vier:)
Motiv ist eine Tonreihe, die zur Wiederholung gelangt.
Jede Reihe von Tönen kann zum Motiv werden, jedoch ist sie als solches
erst dann anzuerkennen, wenn die Wiederholung unmittelbar erfolgt.
Solange aber die sofortige Wiederholung fehlt, ist die Reihe vorläufig nur
als unselbstständiger Teil eines größeren Ganzen zu betrachten."
Diese für klassische, absolute Musik versuchte Definition trifft grundsätzlich auch für Leitmotive zu, daß nämlich ihre Exposition in Wiederholung geschieht.
Jedes spätere Wiederholen aber ist dann eine Art von Zitieren.
Da aber in diesem Problem, der unmittelbaren Zeitlichkeit, das entscheidende Problem und die Problematik Wagnerscher Musik und Mannscher Dichtung liegt, sei im folgenden "Motiv" auch als Zitat gefaßt ...
Daß sich beides auch überschneidet zeige das folgende Beispiel:
Hörbeispiel 2: "Das Rheingold", Anfang der ersten Szene, Dialog Wellgunde und Woglinde. |
Dies war der Anfang der ersten Szene des "Rheingold", der unmittelbar auf das Vorspiel folgt. Einerseits wird hier die dort oft genug wiederholte Oberstimmenmelodie (Holzbläser) zitiert, andererseits wird sie uns erst dadurch als relevant, als motivisch bewußt.
Wir befinden uns in dieser Szene auf dem Grunde des Rheins, dessen Wallen und Strömen aus mystischer Tiefe das Vorspiel beschrieb, heraufbeschwor.
Die Regieanweisung zu Beginn des Vorspiels lautet:
"Auf dem Grunde des Rheines, grünliche Dämmerung, nach oben zu lichter, nach unten zu dunkler. Die Höhe ist vom wogenden Gewässer erfüllt, das rastlose von recht nach links zu strömt ...
Uberall ragen schroffe Felsenriffe aus der Tiefe auf und grenzen den Raum der Bühne ab; der ganze Boden ist in wildes Zackengewirr zerspalten, so daß er ...nach allen Seiten hin in dirchtester Finsternis tiefere Schlüfte annehmen läßt." ([Rhg]).
(Von der, unbefangen betrachtet, sprachlich wie inhaltlichen Unglaublichkeit gleich des Beginnes des 15-Stunden-Schinkens, über dem rechts oben der Allerweltsname "Richard Wagner" steht, ach, Größenwahnsinnskomponisten der Geschmacklosigkeit gab es viele, Gottseidank verschollen, sieht man nichts mehr, hat man sich einmal in dem Heiligtum, dem Labyrinth aus Mythos und Gefühl verirrt, in dem schrecklich-menschenfressend irgendwo der Minotaurus auf uns lauert, jenes abstoßend-faszinierende Tier das da heißt Ratlosigkeit ...)
Durch dieses grünlich-glimmernde Wogen nun tollen die Rheintöchter, von denen wir gerade Woglinde und Wellgunde hörten. Die dritte, Floßhilde, läßt auch nicht lange (7 Takte) auf sich warten, ist wohl die ältere Schwester (tiefer Sopran), mit ihr gibt Alberich auch zuletzt sich ab.
Ernst wie sie ist mahnt sie mit ihrem ersten Satz die Schwestern: "Des Goldes Schlaf hütet ihr schlecht. Besser bewacht des Schlummernden Bett sonst büßt ihr beide das Spiel ..."
Denn es ist der Rheintöchter Aufgabe, das Gold zu bewachen. Doch sie spielen lieber und baden sich in seinem Glanz, was ihr höchstes Glück ist (sagen sie!). Zur Zeit jedoch baden sie nur im Wasser, denn das Auge des Goldes wacht und schläft wechselnd. Gerade schläft es.
Da tritt Alberich, ein fieser Nibelung auf. Ihm gefallen die Mädchen, und er stellt ihnen nach. Erst der einen, dann der nächsten, u.s.w.
Doch alle necken ihn, indem sie geschwind wegtauchen, und er kriegt nichts als Wasser in die Nase.
Im höchsten Zorn ruft er aus "Fing eine diese Faust ...",
und was er mit der tät, muß man sich denken, denn sein Zorn verraucht durch
einen leisen Ton der Basstrompete im Rhythmus ...
|
Notenbeispiel 1: Alberichs Zorn |
bzw. in dem, was dieser symbolisiert, ---
denn nachdem Alberichs Motivik verebbt, löst sich
aus jenem Ton (G als Dominante) das C-Dur-Motivs des Rheingolds, die
"Rheingoldfanfare"
|
Notenbeispiel 2: Die Rheingold-Fanfare |
Zuerst mal auf der Dominante, wird der Fall zur Tonika auf die Worte "Rheingold! Rheingold!" quälend lang vorbereitet und völlig ausgekostet. (Wobei die einzelnen hohen Achtelnoten piano-Anschläge von Becken und Triangel bedeuten!)
Doch hören wir zunächst die kurze Szene bis zum Eintritt des Nibelungen, die, wie der Schluß, harmonisch von äußerster Reinheit und Klarheit ist, und in inren Ausweichungen als wirklich schön zu bezeichnen ist. Dann überspringen wird Alberiches drei Werbelieder und hören seinen Zornesausbruch gefolgt von der Genese des Rheingold-Motivs, das wir dann weiterverfolgen möchten.
Hörbeispiel 3: "Das Rheingold", Einsatz der Flosshilde bis Auftritt Alberichs |
Hörbeispiel 4: "Das Rheingold", "Fing eine diese Faust" bis zum Rheingold-Ruf. |
Natürlich wurde das Rheingoldmotiv nicht "wörtlich" wiederholt, sondern, hier gemäß der Steigerung, schon in seiner "Aufstellung", seinem ersten Bewußtwerden, abgewandelt, in dem die Intervalle sich änderten, der Rhythmus aber bleibt.
Die Behauptung aber, die von den Leitfaden-Verfassern oft aufgestellt wird, die Motive hätten eine persönliche Geschichte, ist falsch. Wahr ist, dass soche Geschichte zwar beabsichtigt ist, aber in dem letztlich a-absoluten, a-symphonischen Kontext nur möglich ist durch Veränderung des Rhythmus (Heroen-Thema entstanden aus Hornruf!), -- wenn Geschichte mehr sein soll als Anhäufung von Erfahrung (im Hörer), nämlich deren Verarbeitung.
Jedoch verfügen die Motive über ein schier unglaubliches Anpassungsvermögen und treten deshalb mit unglaublicher Penetranz bei jedem Stichwort, und auch ohne das, unangenehm in Erscheinung! (Man versuche nur, die "Zugnummern" Siegfried-, Schwert- und Waberlohe-Motiv zu zählen, -- nur zu schätzen ...)
Dazu zwei Beispiele aus der zweiten Szene: Alberich, von den Rheintöchtern geärgert, raubt (noch in der ersten) das Rheingold, nachdem es erglänzte (was wir ja eben gehört haben). Dabei entsagt er noch schnell der Liebe (=Entsagungs-Motiv), ihn will ja doch keine, was ihn befähigt, aus dem Rheingold den RING zu schmieden (=Ringmotiv), der ihm unermeßliche Herrschaft bringen soll (=Herrschafts-Motiv).
Unterdessen bauten die Riesen Fafner und Fasolt für Obergott Wotan auf den Höhen des Rheines ein Eigenheim, die Burg "Walhalla" (=Walhall-Motiv). Als Lohn versprach er leichtfertig Freia (=Freia-Motiv), die Göttin der Jugend.
Seine Frau Fricka (ein rechter Drachen! hier hätt das Drachen-Motiv gut hingepaßt!) will das nicht dulden und ist sehr böse, obwohl ihr der Bau des Eigenheims nicht ungelegen kommt, um Wotans wildes Wanderungen zu beenden (=Hausrats-Motiv).
Wotan hat nun Loge (=Loge-Motiv) auf die Suche geschickt, Eratz zu finden, den die Riesen wohl für Freia annähmen ...
De erscheinen schon die Riesen und fordern ihren Lohn. Mit ihnen erscheint das Riesenmotiv, aber Loge läßt auf sich warten ...
Ale er nun endlich kommt, erzählt er lang und breit, daß "niemand lassen will von Lieb und Weib." --- Es gibt keinen Ersatz, den man den Riesen anbieten könnte, --- "nur einen sah ich, der sagte der Liebe ab. Um rotes Gold entriet er des Weibes Gunst ..."
Als er vom Raub des Rheingoldes berichtet, noch ohne irgendwelche Vorschläge zu machen, tückisch-objektiv, erklingt, konsequent-überflüssig, die Reihngoldfanfare, in h-moll, der Grundtonart angepaßt.
Hörbeispiel 5: "Das Rheingold": Loge "Nur einen sah ich", ca. 8 Takte |
Wotan weiß um des Ringes Macht, auch die Riesen bekommen Appetit ("Was Großes gilt denn das Gold ...?") und Fricka fragt leise den Loge "Taugte wohl des goldnen Tandes gleißend Geschmeid auch Frauen zu schönem Schmuck?", welche Stelle Wagner selbstironisch mit Geigen-Solo und vielen Verzierungen instrumentiert.
Loge, das destruktive Element, den es nur interessiert, die Dinge am Laufen zu halten, die vorwärtstreibende-zerstörende Kraft, das Feuer, der Wahn, er sagt: "Des Gatten Treu ertrotzte die Frau (ha, er kennt Frickas Sorgen!), trüge sie hold den hellen Schmuck den schimmernd Zwerge geschmiedet (=Schmiedemotiv! Zum allerersten Male, aber ganz leise und unauffällig schleicht sich hier ein eines der wichtigsten und häufigsten Motive für den ganzen Rest des Rheingoldes und für den ganzen ersten Akt Siegfried) rührig im Zwange des Reifs."
Und Fricka, schmeichelnd zu Wotan "Gewönne mein Gatte sich wohl das Gold?"
Unmittelbar darauf ertönt die Rheingold-Fanfare, gleichsam Wotans Überlegungen darstellend, der immer mehr vom Gedanken an noch größere Macht bezaubert wird, daß es später einer dea ex machina, der Erda, bedarf, ihn vom Ringe abzuhalten ("Weiche, Wotan, weiche!")
Horen wir nun diese Stelle.
Hörbeispiel 6: "Das Rheingold": Ab Fricka "Taugte wohl des goldnen Tandes..." mit nachfolgender, chromatisch harmonisierter Rheingold-Fanfare |
Weiterer Kommentar ist wohl überflüssig, klar müsste nun sein, wie Wagner mit seinen Motiven umgeht ...
Wer wissen will, wie's weitergeht, soll sich die Oper anhören, nur so viel sei gesagt: Auch die Riesen wollen das Gold, können es aber nicht, weil sie so dumm sind, selbst erringen. Sie nehmen deshalb Freia als Pfand und wollen sie tauschen gegen ihren Lohn, den Hort, den die Nibelungen, beherrscht durch den Ring, dem Alberich angehäuft.
Da aber ohne die tägliche Versorgung mit Freias Frischobst die Götter dahinwelken (Skorbut!), muß Wotan wohl oder übel für andere den Alben fangen und berauben ..., wobei sich noch viele Möglichkeiten ergeben, Stichwörter für Motive einzuflechten ...
Habe ich bis hier versucht, in den (auch von Fall zu Fall verschiedenen) Motiv-Begriff bei Wagner einzuführen und einen Einblick in die Vielschichtigkeit des Problems, in die Klangwelt und die inhaltlichen Bereiche zu geben, so will ich das nun ebenfalls bei Th Mann versuchen.
Doch zuvor, zur Entspannung, ein nicht-Leit-Motiv, ein Beispiel für spät-barocke Motivbehandlung aus dem Weihnachtsoratorium von J. S. Bach. Es ist das Vorspiel zum zweiten Tag, die sog. "Sinfonia"-Hirtenmusik, bzw. deren erste Takte, und dann der Schlußchoral dieses Tages, zwischen dessen Zeilen das dort exponierte Motiv ztitiert wird.
Es erklingen die ca. ersten 14 Takte der Sinfonia, des Vorspiels zum zweiten Tag des Weihnachtsortatoriums. Die vier Oboen setzen darin mindestens dreimal ein, und erlauben so, ihr Motivmaterial zu merken. |
Hörbeispiel 7: "Weihnachtsortatorium" No 10, Sinfonia, Anfang |
Der Schlußchoral des zweiten Tages erklingt, und zwischen die Zeilen jeweils eingestreute Oboen-Motiv aus der sobeben gehörten Sinfonia ist deutlich als Zitat kenntlich. |
Hörbeispiel 8: "Weihnachtsortatorium" No 23, Schlußchoral des zweiten Teiles |
Kommen wir nun zu Thomas Mann und seinen Roman "Königliche Hohheit".
Er entstand 1909, d.h. er war da fertig, acht Jahre nach den "Buddenbrooks", und sein Autor war mitten in den Vierzigern. Beileibe kein Meisterwerk, die sollten noch kommen, eher eine Lockerungsübung, aber eine, die es in sich hat !!!
Dem Inhalt nachist es ein Märchen. Klaus Heinrich, jüngerer Bruder und möglicher Nachfolger des Fürsten eines kleinen, hübschen, aber bankrotten Staatees (1 Million Einwohner) verliebt sich in eine junge Amerikanerin, deren Vater Milliardär ist, und heiratet sie. Der Staatsbankrott ist abgewendet.
So liebenswert-ernsthaft auch des Autors Absichten wären, ohne Ironie kann solch ein literarischer Plan nicht ausgeführt werden.
Worin besteht nun (erste Frage) das Charakteristische der Mannschen Ironie, und wie ist sie verbunden mit dem Begriff des musikalischen Motivs ? (zweite Frage)
Als Beispiel eines ganzen Komplexes Mann'scher Ironie sei die S. 247 der Ausgabe von 1984 [KgH2] angeführt. In einem fortgeschrittenen, aber noch nicht alllzu nahen Stadium ihrer Bekanntschaft, versucht Klaus Heinrich Imma, denn so heißt sie, zum Ausritt, zu dem sie anscheinend keine rechte Lust hat, zu überreden.
Ihr erstes Argument gegen den Ritt ist, daß es regnen wird. Als er das bezweifelt, gehen sie zum Barometer:
"Es ist gestiegen." "Eure Hoheit belieben sich zu irren, die Parallaxe
täuscht Sie." ---
"Ich weiß nicht, was das ist, Fräulein Imma. Es ist wie mit den
Adirondacks.
Ich habe nicht viel gelernt, das hängt mit meiner Art von Dasein zusammen. Sie
müssen Nachsicht haben."
"Oh, ich bitte um gnädigste Entschuldigung. Ich hätte mich erinnern müssen,
daß man volkstümlich mit Eurer Hoheit zu reden hat. Sie stehen schief vor
dem Zeiger, darum scheint er Ihnen gestiegen ..."
"Das mit den Adirondacks" ist ein füherer faux-pas der Hoheit, ebenfalls aus Bildungsmangel, der hier zur Erheiterung und Anheimelung des Lesers zitiert wird.
Hier vermischen und potenzieren sich bewußte Ironie Immas durch Wortwahl ("volkstümlich") und durch absichtliche Verwendung einer ihr fremden Syntax, also meta-sprachlich, ("gnädigste Entschuldigung", "belieben zu irren"), welche ihre Meinung von der Institution "Fürst" ausdrückt, ohne jedoch die persönliche Zuneigung, die auf mütterliche Art ihre Überlegenheit genießt, zu tangieren, und sprachliche Ironie des Autors Thomas Mann ("schief", oder erwähntes Zitat, was den Zuschauer in einen höheren, angenehmen und das Geschehen relativierenden Wissensstand setzt.)
Dieser Komplex wird überhöht durch (estens) seine Steigerung. Es heißt weiter ...
"...Und also ist der Luftstand doch höher als ich dachte."
"Er ist niedriger als Sie dachten."
"Wenn das Quecksilber gefallen ist?"
"Das Quecksilber fällt bei niedrigem Druck und nicht bei hohem, Königliche Hoheit."
Geschieht die ironische Wirkung durch die Kontrast-Stellung der beiden Protagonisten (auf Kosten des Dummen, welche Grausamkeit Wagner und Mann verbindet), so wird sie verstärkt (zweitens) durch Kontrast-Stellung zur durchaus ernsten Fortsetzung:
"Ich glaube, Prinz, Sie übertreiben Ihre Unwissenheit in scherzhafter Weise, um die Grenzen derselben zu verwischen, ..."
-- aber weiter, bewußt ironisch: --
"aber da der Luftdruck so hoch ist, daß das Quecksilber wieder fällt, was freilich eine schwere Verirrung der Natur bedeutet, so wollen wir denn reiten."
Obwohl es dem naiven (Satzbau!) Klaus Heinrich nie einfiele, so zu verfahren, wäre ein solches Vorgehen ihm durchaus zuzutrauen, es läßt sich ohne weiteres ab und zu beobachten, womit diese Passage eine ernsthafte psychologische Studie darstellt.
Drittens wird dieser gesamte ironische Komplex verewigt, indem er nicht vergessen wird, oder indem sein Vergessenwerden verhindert wird durch Zitat, welches ebenfalls, an sich, ironisch ist, womit die Verbindung zum musikalischen Motiv in der einen Hinsicht da ist, daß durch Wiederholen, und sei es nach seinem Abstand, der ironische Komplex neu belebt einerseits und andererseits mit seinem gesamten Gewicht, seiner Vorgeschichte, seinem Erlebten in die Bedeutung des zitierenden Momentes geworfen wird, und es färbt.
In diesem Sinne wird, sobald das Ausreiten zur Gewohnheit geworden ist, auch diese Lage der beiden ähnlich geblieben sein (bei Mann ändert sich nie etwas!), was eben durch ein Zitat, durch die Kurzfassung (Diminuition, Abspaltung), dieses komplizierten Verhältnisses angedeutet wird:
(S. 271):
"Wenn aber vermöge des niedrigen Luftdruckes das Quecksilber fiel,
wenn es folglich regnete, und H.K dennoch ein Wiedersehen mit
Imma Spoelmann für notwendig erachtete ...".
Durch Ironie, und sie
liegt im "folglich", denn wer schaut aufs Barometer
um zu sehen, ob es regnet ...? Zwar hat K.H. gelernt, (den Fehler zu zitieren
wäre gar zu plump!) aber dieser faux-pas schwebt wie ein Damokles-Schwert
über seinem Haupt, fest zwar, doch fürchterlich, und nur die Naivität
bewahrt ihn vor Verzweiflung.
(Doch zum ethischen Aspekt später, erst das riesige ästhetische Feld ...)
Bei den verschiedenen Möglichkeiten, Ironie zu Erwecken, spielt (neben dem später als Grund behandelten Motiv) der Kontrast eine Rolle.
Fur Mann, der die letzten Dinge ab und zu in Worte zu fassen zu versuchen wagte, war sie dort willkommen und nötig, die Beklemmung des Grauens zu lösen (Doktor Faustus). Hier finden wir Ähnliches bei der Schilderung des Todes seines Vaters Johann Albrechts, dessen Krankheit eindringlich und erschütternd als "Tod an sich" geschildert ist:
(S. 121)
"Großherzog Johann Albrecht starb an einer furchtbaren Krankheit,
die etwas Nacktes und Abstraktes hatte und eigentlich mit keinem anderen
Namen als eben dem des Todes zu bezeichnen war. Es schien, als ober der Tod,
seiner Besitzrechtes sicher, in diesem Fall jede Maske und Erscheinung
verschmähe und unmittelbar als er selbst, als die Auflösung an und für sich
auf den Plan trete. Es handelte sich im wensentlichen um eine Zersetzung
des Blutes, hervorgerufen durch innere Eiterungen ..."
Kurz darauf heißt es dann, nachdem er also tot ist:
(S. 124)
"...und acht Stunden lang war Johann Albrechts Leiche inmitten einer
Ehrenwache, die aus 2 Obersten, 2 Leutnants, 2 Feldwebeln, 2 Wachtmeistern,
2 Unteroffizieren und 2 Kammerherrn bestand, dem Publikum zur
Besichtigung ausgestellt."
Ähnlich konstrastgesetzt sind, als 3. Beispiel Mannscher Ironie, auch die Betrachtungen, die der "unmittelbare" Klaus Heinrich mitleidvoll über die Situation des reflektierten, der Mathematikstrundentin Imma Spoelmann anstellt:
(S. 239)
"Was für Worte sie leichthin im Munde führte, "Leidenschaft", "Laster",
wie kam sie dazu, sie zu beherrschen und sich ihrer so keck zu bedienen?
...sie war ...zweifellos ...vollkommen unwissend, unteilhaft der
wilden Dinge, die im wirklichen Leben jenen düster großen Worten entsprachen.
Aber der Wörter hatte sie sich bemächtigt und führte sie in geschliffener
Rede daher, indem sie sich darüber lustig machte ...(sie) kannte vom Leben nicht mher als die Worte. Klaus Heinrich war voller
Mitgefühl."
Das steht im Kontrast zu Klaus Heinrichs Ratlosigkeit der Mathematik gegenüber. und folgende Stelle geht, glaub ich, auch uns an:
(S. 245)
"Was er sah, war sinnverwirrend! Ein phantastischer Hokuspokus,
ein Hexensabbat verschränkter Runen, ...
Griechische Schriftzeichen waren mit lateinischen und Ziffern in verschiedener Höhe
verkoppelt, mit Kreuzen und Strichen durchsetzt, durch andere Linien
zeltartig überdacht, durch runde Klammern zusammengefasst, durch eckige
Klammern zu großen Formelmassen vereinigt, ...
Sonderbare Silben, Abkürzungen geheimer Worte waren überall eingestreut, und
zwischen den nekromantischen Kolonnen standen Sätze in täglicher Sprache,
deren Sinn gleichwohl so hoch über allen menschlichen Dingen stand ..."
Ich glaube, der Autor, der hier solche Begriffsmassen auffährt wie er Zahlenmassen meint, übertreibt hier seine Unwissenheit in scherzhafter Weise, um die Grenzen derselben ...--- welche Episode übrigens kurz darauf folgt.
Oder man nehme die Stelle, in der Imma dem Prinzen die Scheinbarkeit seines Daseins in ernster Form aufdeckt, deren er sich scherzhaft schon längst bewußt war:
(S. 309, Imma zu Klaus Heinrich)
"Ich habe Gelegenheit gehabt, Sie im Verkehr
mit anderen Leuten zu beobachten, ...und immer habe ich Kälte (!) und
Angst dabei empfunden. Sie ...stellen Fragen, aber nicht aus
Teilnahme, Sie äußern eine Meinung, aber Sie könnten ebenso gut eine andere
äußern, denn in Wirklichkeit haben Sie keine Meinung und keinen Glauben, und
auf nichts kommt es Ihnen an als auf Ihre Prinzenhaltung.
...wie könnte man Vertrauen zu Ihnen haben?"
Aber da nun beider Problem exponiert ist, kommt im selben Gespräch auch heraus, daß Ironie und Spott im wirklichen Leben, das beide ja nicht kennen, etwas äußerst Gefährliches und durchaus Hinderndes ist:
(S. 310)
"Ich glaube nicht, daß wir uns helfen können, Prinz." "Doch wir
können es. Haben Sie nicht eben schon ernst und ganz ohne Spott geredet
...?"
Doch diese Phase des Buches später !
Kommen wir nun zur Ironie durch Motivik.
Diese ist im allgemeinen weniger bewußt-inhaltlich als technisch-sprachlich
und weist in andere Richtung, und zwar doppelt:
a) Sie wirkt als Charakterisierung und Färbung der Personen, an die das Motiv gekoppelt ist, durch Erinnerung an seine Entstehungssituation (vgl. das schon Gesagte zum Komplex "Barometer").
b), was damit parallelläuft, schafft das Motiv einen Wissenshorizont, der gleichzeitig die Fabel hermetisch abschließt gegen Störungen von außen, gegen kritische, politische Gedanken, andererseits den Leser in die konstruiert-getönte Welt einschließt, um ihn mit der Grundstimmung über die Personen hinaus zu identifizieren (womit er für obige Absicherung gegen unbequemes, unbürgerliches noch dankbar ist!)
Diese "Stimmung" möchte ich vermitteln hier und heute, durch Vermittlung der Technik (der Sprache) und des Inhalts.
Was wir erhalten ist so etwas wie ein "Märchen", schwankend zwischen
Kitsch und Abgrund und gehalten durch das Gleichgewicht zwischen
Wucht und Überladenheit des Themas "Kunst" und der "Artistik" des
überwältigenden Sprachgebrauchs, der Sprachkraft;
wie auch dem Aspekt der einkalkulierten, als "Welt" mitkomponierten
Bildung, also der bildungsmäßigen Wucht und Überladenheit
der Kunst(-geschichte)., der Artistik der interdisziplinären Bildung
(Musik und Malerei in einen Topf), welches als Ergebnis gibt
die totale Künstlichkeit des Geschehensraumes,
des Begriffsraumes, um o.g. Gleichgewicht nicht zu verlieren und in die
aufgerissenen Abgründe der Begriffe zu fallen, ...
...letztlich doch als Symptom ergibt sich die Künstlichkeit der Bildung selbst, die aber ausdrücklich Grund und Basis der Strutkturen ist. Der untergehende Zirkel!
Doch nun wirklich zur zweiten oben aufgeworfenen Frage, dem Verhältnis von Ironie und musikalischem Motiv.
Z.B. wird die Person des Hilfslehrers Dr. Raoul Überbein mit dem Motiv "Malheur von Geburt" verknüpft, was sich, dem Zusammenhang entrissen, komisch anhört. Dieser Zusammenhang aber eben ist die "Exposition".
(S. 78)
"Raoul Überbein war kein schöner Mann.
Er hatte einen roten Bart, ...spärliches rotes Haar
und überaus häßliche, abstehende
und nach oben spitz zulaufende Ohren....Es hieß, er sei dunkler
Herkunft, sei vaterlos. Seine Mutter sei eine Schauspielerin gewesen,
die ihn gegen Entgelt von armen Leuten an Kindesstatt habe annehmen lassen,
und ehemals habe er Hunger gelitten, wovon die grüne Farbe seines
Gesichtes rührte."
(S. 81)
"Da hatt er gestanden, allein in der Welt, ein Malheur von Geburt
und arm wie ein Spatz ..."
Später dann
(S. 237)
"Er mußte an Überbein denken, beo manchen von ihren
Scharfzüngigkeiten, [...], der ein
Malheur von Geburt war.", wobei nicht bekannt ist,
ob die Romanfigur K.H. diesen Ausdruck jemals gehört, hat, wohl aber
der Leser.
Es folgt danauch ein wörtliches Zitieren der nächsten Sätze jener früheren Stelle!
Das ist typische Mannscher Stil mit all seinen Konsequenzen: Grausame Unentrinnbarkeit des Motivs!
[
Dabei ist Überbein ein hoch ehrenhafter, ernster und intelligenter Mensch,
der als erster und einziger bis auf K.H.s. Braut und seine Schwester, ihm
menschlich und ernst begegnet und ihm die Augen versucht zu öffnen! Man lese
S.. 83pp
über die "formale Existenz", und vergleiche mit dem letzten Teil
(Dialoge Imma und K.H.!)
]
Oder es heißt von Imma:
(S.199)
"(sie) saß unter den jungen Leuten im Hörsaal und führte mit hochaufgesetztem
und eingedrücktem Zeigefinger --- denn das war ihre Schreibart ---
dei Füllfeder über die Seiten. ..."
(S. 243) dann als Diminution, welches eine musikalische Verkürzung ist:
"und mit durchgedücktem Zeigefinger den Füllfederhalter führte."
Daß das Motiv eine Vorgeschichte hat, daß wir mit ihm Ereignisse verbinden, daß es an Personen oder Sachen gebunden ist, das alles macht es zu einer Art Leitmotiv.
Die Mannschen Motive haben aber durchaus auch strukturierende, architektonische, "absolute" Bedeutung.
Um das nachzuweisen möchte ich am Beispiel des Hauptmotivs des 1. Satzes der 3. Sinfonie von Gustav Mahler die Funktion der Motivik in der absoluten Musik erörtern:
(Die ersten Takte des ersten Satzes von Mahlers Dritter |
Hörbeispiel 9: Die ersten Takte des ersten Satzes von Mahlers Dritter, acht Hörner ff unisono Thema, ab Ziffer eins ausblendend. |
War wir soeben gehört haben war der überaus eindrucksvolle und vielversprechende
Anfang einer Sinfonie: Acht Hörner im Einklang schmettern, --- nackt, bloß
und bedeutsam, ---- das Hauptthema dem staunenden Hörer entgegen. In der Tat wird
diese Sinfonie anderthalb Stunden dauern ...
Ein richtiges Thema haben wir also gehört, ein eigenständiges,
längeres, abgeschlossenes melodisches Gebilde. Und doch läßt sich auch,
bei aller Logik des Zusammenhaltes, ein Thema unterteilen, --- ganz klar.
Relevant für die Musik und den Hörer ist es aber nur, wenn das Thema
oder seine Verarbeitung sich selbst unterteilt, wenn sich
Motive herausschälen.
Motive entstehen durch Wiederholung (wie bereits zitiert nach [schenkerHL]), und auf dem Gipfel dieses Themas wurde dreimal ein dreitöniges aufsteigendes Motiv wiederholt, im folgenden Notenbeispiel links, das wir der Kürze halber "Dreitonmotiv" nennen:
|
Notenbeispiel 3: Hauptmotive aus Mahler III/1 |
Und zwar geschehen die Wiederholungen sequenziert, aber nicht, was man erwarten würde, sequenzie-rend: die erste Wiederholung ist einen Ton höher als das Original, die weiteren Wiederholungen aber nicht abermals erhöht...
Mit Hilfe des so "gelernten" Dreitonmotivs erreicht Mahler eine zuerst kaum merkliche Verbindung mit dem zweiten Thema, das mit genau diesem, und zwar ebenfalls wiederholt, beginnt:
Einblendend acht Takte nach Ziffer vier, das zeite Thema,
das ebenfalls im ff von den acht Hörnern vorgetragen wird, und mit
dem Dreitonmotiv beginnt.
|
Hörbeispiel 10: Das zweite Thema mit dem Dreitonmotiv in der Exposition des ersten Satzes von Mahlers Dritter |
Dabei erklingt das Motiv begleitet von der im Notenbeispiel rechts stehenden Harmonie, die damit auch thematisch ist, dem verminderten Septakkord cis-e-g-b. Dieser Akkord, oder besser, ein solcher, denn es gibt davon drei, ist das schmerzlichste was man aus Terzen aufbauen kann, er ist der "teuflische Akkord", der zweimal den Tritonus enthält, das "satanische Intervall", und besitzt eine enorme Spannkraft. Er wird uns noch in Verbindung mit dem Teufel erscheinen!
Diese neu uns bewußt werdende Motiv, das im folgenden thematisch erweitert wird, hat durchaus den Charakter einer Persönlichkeit, eines Leid-Motivs, das erleidet. Im folgenden scheint es zu ermatten, ---- und wirklich, eine völlig neue Themengruppe, klangvoll, folgt:
Ziffer 9, ermattende Wiederholung des Dreitonmotivs, chromatischer Zusammenbruch, Schnitt, D-Dur, nächstss Thema, ausblenden (Kann eigentlich schon bei Ziffer 8 beginnen, da dort auch Dreitonmotiv!) |
Hörbeispiel 11: Ende der ersten Themnegruppe im ersten Satz von Mahlers Dritter |
Wichtiger aber ist die strukturell-formbildende Bedeutung, die Themen und
Motive haben:
Diese neue Klanglichkeit nämlich führt, als zweiter Themengruppe
(oder gar "eigentlicher Hauptthemengruppe"; wenn man die schweren
Molltakte als "Einleitung" begreifen will), zu einer grandiosen
Steigerung und Farbenpracht, deren überschwenglicher, feuriger Abschluß
der dritte Teil dieses ersten
sinfonischen Tryptichons ist, die Schlußgruppe.
Diese beschließt aber nun nicht den Sinfoniesatz, wie man aufgrund der bisheringe Spieldauer vermuten könnte, sondern vielmehr die sog. Exposition, das erste Drittel jeden Sonatensatzes, die Themenaufstellung, und in diesen Überschwang hinein bricht dann die Durchführung:
Höhepunkt der Exposition ab "schwungvoll", Ziffer 26, Einbruch des "panischen Schreckens" der Df, rasch ausblenden ab Ziffer 31. |
Hörbeispiel 12: Ende Exp und Anfang Df in Mahlers III/1 |
Wir haben wohl alle das Dreitonmotiv wiedererkannt, das im Einklang der acht Hörner und mit seiner thematischen Harmonie als Ausdruck höchsten Ensetzens und panischen Schreckens hier in den Jubel einbrach. --- Der verminderte Septakkord als existentielle Bedrohung ...
Nun noch ein Beispiel um den Unterschied zwischen Motiv und motivischer Arbeit einerseits und Thema andererseits aufzudecken. Ein Muster an thematischer Arbeit ist der Durchführungsprozeß. Wir erleben hier eine Verarbeitung, Zerspaltung, Sequenzierung des Themas, d.h. seiner ersten vier Takte, in denen das Dreitonmotiv keine Rolle spielt. Darauf setzt aber, den Bogen schließend, die Reprise ein, in der der Höhepunkt des Themas verglichen mit dem Alleranfang nochmals überhöht, also sequenzierend, erscheint. Das hat weitreichende Folgen:
Ende Df ab Ziffer 49 (oder zumindest 50) bis zum Repriseneinsatz,vor $ Takte vor Ziffer 57 ausblendend. |
Hörbeispiel 13: Ende Df und Anfang Rp in Mahlers III/1 |
Wir hörten: Das Motiv wird verdeutlicht, klargelegt. Klar wird auch die
Identität dieses Motives mit dem thematischen der ersten Themengruppe, und die
Identität mit einer kleinen, überall eingestreuten Fagott-Floskel, die ihrerseits,
im nachhinein, zu vermitteln scheint zwischen Motiv und zweitem Thema,
in dem das Motiv ebenso versteckt erscheint:
Hören wir dies in der Fortsetzing der Reprise:
Fortsetzung der Rp von der gerade ausgeblendeten Stelle bis vor das Posaunensolo Ziffer 60 |
Hörbeispiel 14: Fortsetzung dert Rp in Mahlers III/1 |
Dies nenne ich eine Vermittlung oder Klarstellung a posteriori.
Hiermit haben wir eine zweite musikalische Technik, die sich bei
Mann wiederfindet:
Klaus Heinrich hat nämlich eine verkrüppelte linke
Hand. Dieses Motiv wird, da es für die
Architektur sehr wesentlich ist, nicht "exponiert", sondern zuerst verborgen
und dann, -- Tusch! --, enthüllt, klargelegt.
Das geht so: In einem "Vorspiel" außerhalb der Handlung wird ein unbenannter (!!) junger Offizier geschildert, dem alle größte Ehrfurcht entgegenbringen. Erst zum Schluß, wo das Wort "Hoheit" exponiert wird, welches man aber schon kennt (Titel!), wird der Name genannt, die Spannung gelöst (Tusch!).
Die Handlung selbst setzt dann vor seiner Geburt an. Dies ist also wiederum musikalische Technik, nämlich ein sogenanntes ritardando, eine Verlangsamung des Tempos, meist zur Spannung des Gehaltes ...
Eine solche Verifikation a posteriori waren zB. auch die ganz zu Beginn vorgeführten Repetitionen der Basstrompete, die Alberichs Zorn besänftigten, und die sich, ist ihnen das Rheingoldmotiv erstmal entwachsen, im nachhineina als prae-motivisch, als relevant herausstellen.
Das so exponierte Motiv schlägt einen großen Spannungsbogen vom Alleranfang bis zu seiner Auflösung, --- einen Bogen, der dem des eben gebrachten sinfonischen Beispiels von gezwungener Exposition bis erfüllender Reprise ähnelt, --- das Motiv als achtitektonisches Element.
Aber auch das Mahlersche Motiv, der Baustein, trägt Inhalt größter Bedeutung. Man höre nun eine Stelle aus dem vom Anfang durch eine Stunde Aufführungszeit getrennten Finale, und doch kehrt alles zurück!
Finales Adagio, Ziffer 16, Zweites Thema pp, und anschliessende Steigerung mit dem Dreitonmotiv als Höhepunkt 2 Takte vor Ziffer 20, dann kurz vor Ziffer 21 schnell ausblendend. |
Hörbeispiel 15: Einbruch des Dreitonmotives in das Finale von Mahler III |
Auch das sprachliche Konstruktionselement ist andererseits aber, innerlich, mit Inhalt gefüllt, die verkrüppelte Hand als Ausdruck seelischen Zwanges, der der Erlösung, ein typisch Wagnerscher Gedanke, bedarf. Diese Stelle ist von wirklicher Größe, menschlicher Eindringlichkeit:
(S. 288)
"Sie schiweg. Und plötzlich sah er, wie ihr Blick, unter leicht
verfinsterten Brauen (Motiv und Inhalt!) an seiner Seite suchte, -- ja,
obwohl er, seiner Übung nach, ein wenig schräg von ihr stand und ihr die
rechte Schulter zuwandte, konnte er nicht verhindern, daß ihre Augen sich
mit stillem Forschen auf seinen linken Arm ...hefteten ...
"Haben Sie das seit Ihrer Geburt?" fragte sie leise. Er erbleichte.
Aber mit einem Laut, der wie ein Laut der Erlösung (sic!) klang, sank er vor
ihr nieder ...
"Kleine Schwester", sagte er, "kleine Schwester" Sie antwortete mit
vorgeschobenen Lippen "Haltung, Prinz ..." aber hingegeben und mit blinden
Augen sagte er nichts als "Imma, kleine Imma ..."
Da nahem sie seine Hand, die linke, verkümmerte, das Gebrechen, die
Hemmung bei seinem hohen Beruf, die er zu verbergen gewöhnt war, -- nahm sie
und küßte sie.
---
Ernste Gerüchte liefen über den Gesundheitszustand des Finanzministers
Doktor Krippenreuther im Lande um.
...
Nun folgt, aus der Sicht des Volkes, unter Erwähnung alter Prophezeiungen, ein erneutes großes ritardando, ein Auskosten der neuen Spannung, ein neues Ansetzen des Bogens bis zum märchenhaften Ende: Die beiden heiraten, der Vater rettet den Staat, das Volk ist glücklich, jubelt, die Schlösser werden renoviert ...
Aber vorher kommen noch 70 Seiten. Warum?
Formal dient dieser Teil den Ausklang nach dem dort ohne Zweifel liegenden Höhepunkt. (Ähnlich bei Mahler)
Inhaltlich bring die Dehnung aber Neues: Es folgt der eigentliche "erotische Schlagabtausch" zwischen Imma und K.H. Weiterhin wird, als Deutung des Geschehens quasi, die gegenseitige Analyse der psychischen Probleme vorgenommen, die eigentlich ja schon aus dem Hauptteil ersichtlich waren, nun aber, statt des Märcheninhalts, in den Vordergrund treten. Somit erhält der Roman auch seine scheinbare Relevanz als Parabel für die "Erlösung der Seelen".
Zum dritten aber dient es den Staatsgeschäften, der, welch große Ironie, langsamen Einleitung des Schrittes in die Öffentlichkeit, der Wahrung der Form, obwohl gerade denen, die sich für diese verantwortlich dünken, die Heirat und die Finanzspritze lieber heut als morgen recht wär. Es ist halt eine Märchenwelt.
So heißt es z.B. auf ihrem Ausflug, vor dem es soviel Ärger mit dem Barometer gab:
(S. 261) Imma zum Prinzen und ihrer Hofdame:
"Nicht wahr, auf einem Ausflug muß man einkehren"
(S. 262) Der Wirt:
"Limonade", sagte er, "das ist das beste für den Durst
und reine Ware! Kein Gesudel, Königliche Hoheit und sie, meine Damen,
sondern gezuckerte Natursäfte und das Bekömmlichste von allem!"
Trotz aller Ironie der Sprachlichkeit steckt dort soviel triviale
Behaglichkeit darin, daß sich das Bild des "Märchens" wohl jedem aufdrängt.
Das Märchen als Kunstform, die selbst in Begegnung mit dem abgründigsten
Grauen (später dazu!) eine geschlossenen (heile !?) Welt bleibt.
Dessen höchst bewußt, und aus der Tatsache, daß eine hermetische
Welt eine zeitlose ist, heißt es später
(S. 295):
"...daß die (finanzielle, das Wort wird ausgespart, sic!)
Verlegenheit nicht vor Stätten halt machte,
welche das ehrerbietige Volk sich gern allen Unbilden der Zeit entrückt
gedacht hätte."
...zwei Schlösser nämlich, "Zeitvertreib" und "Fantasie", sollen verkauft werden! Oh, Unglück!
Als dritte Stufe der Ironie aber, wenn eine solche Gliederung statthaft ist, wird das höchst geschickt errichtete Gebäude der Sympathie umgestürzt durch die Erwähnung des Namens (!!)--- die Märchenhaftigkeit nämlich, die Scheinbarkeit wird benannt ausgesprochen, wird ernst.
Vieles geschieht noch in diesem Abschnitt, dem letzten des Romans, dem ehrlichsten des Autors.
Ihrer Lage bewußt wollen sich die "Antagonisten" helfen, sie ihm aus seinem Scheindasein, er ihr aus ihrer heilen, spöttischen Welt.
Ja, auch Spott kann heil sein, vor der Angst bewahren, und Thomas Mann ist sich der Irreleanz seiner Werke in ethischer Hinsicht bewußt. Er gelangt nicht heraus aus der subtilen Ästhetik, gerade weil sie so subtil ist,und nicht aus der Ironie, gerade weil sie so menschlich, so wahr und vergebend vergeblich, vergebens. Doch dazu später, und folgende Stellen sprechen für sich:
S. 397: Imma zu K.H.
"Sie sind zum Schein zur Welt gekommen, und plötzlich soll
ich Ihnen glauben, daß es Ihnen mit irgend etwas ernst ist?"
Während sie das sagte, traten ihr Tränen in die Augen, so sehr taten ihr
die Worte weh. ..."Sie haben recht, es ist viel Unwahrheit in meinem Leben ..."
S. 310: K.H.zu Imma
"Haben Sie dank, daß sie so ernst gesprochen haben, denn Sie
wissen wohl, (daß Sie) meist nur spottweise reden und
auf Ihre Art die Dinge so wenig ernst nehmen wie ich auf die meine."
S. 310:
"Ich glaube nicht, das wir einander helfen können, Prinz." -- "Doch, wir können es.
Haben Sie nicht eben schon ernst und ganz ohne Spott geredet?"
S. 312:
...allein sie duldete nur, blieb unbewegt, ihre
Entschließungsangst, diese Scheu, ihr kühles und sprödes Reich zu
verlassen und sich zu ihm zu bekennen, schien unüberwindlich.
Gerade der letzter Satz ist eine sehr wichtige Stelle!
Oft braucht Mann Ironie, die Wahrheit zu ertragen, hier fehlt sie ganz, die Dichtung richtet sich selbst. Doch der Konstrukteur Mann, der geniale Erbauer, schließt den allerletzten Bogen, die Hochzeit, die Entscheidung, durch ein Finale dutzender glitzernder kleiner motivischer Klammern, Abrundungen, Verriegelungen, Barrieren gegen die Welt, aber auch letzten Halt für die beiden, die wagen, ins Freie, der Sonne entgegen zu schreiten, auf ihrer Höhe, die Hoheit der menschlichen Würde, --- letzte Fixpunkte des Gewesenen und immer-Seienden, das starre, geliebte Gestern.
Diese Erinnerungssplitter greifen weit zurück auf Ironien, die selbst keine sind.
Das Motiv wehrt sich gegen die Vergänglichkeit, die Ironie wirft sie uns ins Auge.
Dies in dem Zwischentitel ausgesprochene Verfahren ist typisch Mannsch: Die "Ver-skurillierung" des "an sich" ernsten, trockenen, vieleicht sogar traurigen.
Exposition gelegentlich eines ersten Erahnens seiner Ignoranz von der Welt.
Es heißt (S. 63):
Sie [K.H. und seine Schwester Ditlinde] nannten es "Stöbern", und der Reiz des "Stöberns" [Wiederholung!] war groß; denn es war schwer, mit dem Grundriß und Aufbau des Alten Schlosses vertraut zu werden ...
Zwischendurch wird es, glaub ich, einmal nur aufgegriffen
(S. 136), Dietlinde:
"Im alten Schloss da gabs keine Blumen, wie du weißt, ...[...]
Da hätten wir lange stöbern können meine ich, Rattenfallen und
solches Zeug."
Aber zum Schluß aber fast kontrapunktisch (!) zu einem andern gesetzt:
(S. 360)
Im übrigen war sie [seine Schwester} entzückt, daß er sich etwas
so Holdes und Kostbares erstöbert hatte, wußte auch bestens, als
Gattin Phillips mit seinem Torf, die Vorzüge dieser Heirat zu
würdigen.
Phillip, Dietlindes Mann, wird in der gleichen Unterredung der Geschwister exponiert, in dem die Erwachsenen das Kinderspiel "Stöbern" als selbstverständlichen Begriff benutzen. -- Es heißt da:
(S. 139)
...Und mein guter Phillip ...Er läßt dich grüßen, K.H.,
...er ist schon wieder unterwegs, in Geschäften, auf den Gütern, --
so klein und zart von Natur wie er ist, aber wenn es um seinen Torf
und seine Sägemühlen geht, so bekomt er rote Backen ..."
Die Wiederholung schon auf derselben Seite:
"und du, Dietlinde, nicht wahr, dir geht es ebenfalls gut und besser als früher. Ich sage nicht, daß du rote Backen bekommen hast wie Phillip von seinem Torf ..."
Und dieser arme Phillip wird uns wohl sein und unser Leben lang einen Karren voll Torf ziehend vor Augen erscheinen ..., Das ist das grausame am Motiv.
Ist diese Motivverknüpfung eine musikalische Technik, so ist die Kehrseite
der Medaille, die bewußte Musikbetrachtung, im zweiten größten und schließenden
ironischen Bogen deutlich, der Figur des "D. Wislizenzus".
(engl. "with" und lateinisch "linzenza" = "mit Erlaubnis", ein Begriff aus
den Stimmführungsgesetzen des strengen Kontrapunktes, ein Eintrag
des Komponisten in der Paritur um anzzuzeigen, daß er weiß,
daß er gegen Regeln verstößt.)
Die Stellen erklären sich selbst:
(S. 21)
Oberkirchenratspräsident D. Wislizenzus, "der als Sohn eines
Generals und dank seiner persönlichen Distinktion
in verhältnismäßig jungen Jahren zu seiner höhen Würde gelangt war,
...faltete seine weißen Hände unerhalb der Brust und sagte mit
wohllautender Stimme: "Gott segne seine Großherzogliche Hoheit."
(S.47), bei der Taufe:
D. Wislizenzus predigte über ein Schriftwort, das der Großherzog selbst bestimmt
hatte. ...
D. Wislizenzus behandelte es motivisch und sozusagen auf musikalische
Art [sic!]. Er wadnte es hin und her, wies es in verschiedener Beleuchtung auf
und erschöpfte es in allen Beziehungen; er ließ es mit säuselnder Stimme und
mit der ganzen Kraft seiner Brust ertönen, und während es zu Beginn seiner
Kunstleistung, leise und sinnend ausgesprochen, nur ein dünnes, körperloses
Thema war, erschien es am Schluß, als er es der Menge zum letzten Mal
vorführte, reich instrumentiert, voll ausgedeutet und tief belebt.
-- Dann ging er zum eigentlichen Taufakt über, und er nahm ihn ausführlich vor,
sichtbar für alle und unter Betonung jeder Einzelheit.
Hier geschieht, was später uns noch oft in Dr. Faustus begegnen soll: Ein Kunstwerk, und als solches wird die Predigt geschildert, wird beschrieben, das es nicht gibt! (Ähnlich ist ja meine Schwierigkeit euch gegenüber, die ihr ja Musik und Roman nicht kennt.) Noch nichteinmal das Bibelwort, das so umständlich entwickelt wurde, wird genannt!!
(S.89), zur "Einsegnung":
Oberkirchenratspräsident D. Wislizenzus kontrapunktierte [sic!] mit einem
Bibelmotiv, das wiederum der Großherzog ausgesucht hatte, und K.H. ward
bei dieser Gelegenheit zum Leutnant erhoben, obgleich er von militärischen
Angelegenheiten auch nicht das geringste verstand.
(S.366), zur Hochzeit:
...blieb einzig
die wohllautenden [sic!] Stimme des Oberkirchenratspräsidenten D. Wislizenzus
zurück, der, im Silberhaar [aha!] und dem gewölbten Stern [!] auf dem
geistigen Talar vor dem hohen Paare stand und kunstreich predigte.
[Wie eine Bachsche Invention stelle ich mir das vor!]
Motivisch arbeitete er, und sozusagen auf musikalische Art. Und das Thema, das
er handhabte, war ein Psalterklang,
der da lautet ...[nun wird's genannt, denn der Großherzog ist tot!] --
Da war kein Auge, das trocken blieb. ...
Aber auch wegen der erneuten Panne beim Salutschuß (Motiv! Wie bei der Geburt!) blieb wohl kein Auge trocken, und erst der letzte und wirklich große Bogen ist, vielleicht etwas billig, vom Titel zum Schlußwort:
(S. 368) Imma:
"Aber wir sind dumm und so alleine, Prinz, auf der
Menschheit Höhe, und wissen gar nichta vom Leben."
[Ein Einschub zerstört das Pathos: "Wie Dr. Überbein immer gesagt haben soll
...]
"Gar nichts, kleine Imma? --- Weiß der nichts vom Leben, der von der Liebe
weiß? Das soll fortan unsere Sache sein: beides, Hoheit und Liebe,
--- ein strenges Glück."
In diesem ersten Hauptteil habe ich versucht, den Stimmungsgehalt unbekannter
Literatur durch Inhalt und Technik nahezubringen.
Es bleiben zwei Ergebnisse:
1. Das bewußte Behandeln musikalisch-Wagnerscher Thematik,
2. Das Benutzen musikalisch-motivischer Technik.
Viel läßt sich am Ästhetischen noch forschen, Motivwirkungen und Ironie-Mechanismen auf psychologische Art nachgehen, als wesentlicher Punkt, der jetzt schon zum Schlußwort beizutragen wäre ist jedoch die dämonische Wirkung, die das herrgottähnliche Walten des Autors haben kann, wenn er gegen die Zeit schreibt (Buddenbrooks, S. 523). Hier beginnt Mannsche Kunst kritisch zu werden, alldieweil sie nicht mehr in der Lage ist, wie oben gesagt, ihre Ironie und Ästhetik zugunsten ethischer Stellungnahme aufzugeben.
Im zweiten, kürzeren Abschnitt interessiert uns die ethische Konsequenz. Z.B. wenn in den Buddenbrooks, die acht Jahre früher erschienen, und für die er den Nobelpreis bekam, das "Wislizenzus-", das Pastoren-Motiv ebenfalls vorkommt, nur daß hier unmerklich die Namen wechseln, die Geistlichen sterben, die Buddenbrooks bestehen fort ...
Oder wenn Mann sich an letzte Dinge wagt, wie z.B. im Doktor Faustus, wo er --- den Teufel selbst auftreten und die Hölle schildern läßt. Ich lese aus dem Kapitel XXV:
(Dr. Faustus, [DrF2], S. 301 p)
Saß allein hier im Saal, nahendt bei den Fenstern, die mit den
Läden vermacht, vor mir die Länge des Raums, bei meiner
Lampe und las Kierkegaard über Mozarts Don Juan.
Da fühl ich mich auf den Plotz von schneidender Kälte getroffen,
so als säße einer im winterwarmen Zimmer und auf einmal ginge ein Fenster
auf nach außen gegen den Frost. Kam aber nicht von hinter mir, wo die
Fenster sind, sondern fällt mich von vorn an. Rucke auf vom Buch und schau
in den Saal, sehe, daß wohl Sch. schon zurückgekehrt, denn ich bin nicht mehr
allein: Jemand sitzt im Dämmer auf dem Roßhaarsofa, das mit Tisch und Stühlen
nahe der Tür ungefähr mitten im Raume steht, wo wir morgens das Frühstück nehmen,
- sitzt in der Sofaecke mit übergeschlagenem Bein, aber es ist nicht Sch., ist
ein anderer, kleiner als er, lange so stattlich nicht und überhaupt kein
rechter Herr. Aber fortwährend dringt mich die Kälte an.
"Chi è costà!" ist, was ich rufe mit etwas verschnürter Kehle,
aufgestützt mit den Händen den Armen des Stuhls, so, daß
das Buch mir von den Knien zu Boden fällt. Antwortet die ruhige, langsame Stimme
des anderen, eine gleichsam geschulte Stimme mit angenehmer Nasenresonanz:
"Sprich nur deutsch! Nur fein altdeutsch mit der Sprache heraus, ohn
einige Bemäntelung und Gleisnerei. Ich versteh es.
Ist gerad recht meine Lieblingssprache. Manchmal versteh ich
überhaupt nur deutsch.
Hol dir übrigens den Paletot, auch den Hut und das Plaid.
Es geht kalt zu dir.
Du wirst schnattern, mag es auch nicht zum Verkühlen sein.«
"Wer sagt Du zu mir?« frage ich aufgebracht.
"Ich", sagt er. "Ich, mit Gunst. Ach, du meinst, weil du niemandem Du sagst,
nicht einmal deinem Humoristen, dem Gentleman, außer allein dem KindgespieI,
dem Getreuen, der dich mit Vornamen nennt, du aber nicht ihn? Laß das gut sein.
Es ist schon so ein Verhältnis mit uns, zum Du sagen. Wird es nun?
Holst du dir etwas Warmes?"
Ich starre ins Halblicht, fasse ihn zornig ins Auge. Ist ein Mann,
eher spillerig von Figur, Iängst nicht so groß wie Sch , aber auch kleiner
als ich, - eine Sportmütze übers Ohr gezogen, und auf der andern Seite steht
darunter rötlich Haar von der Schläfe hinauf; rötliche Wimpern auch an
geröteten Augen, käsig das Gesicht, mit etwas schief abgebogener Nasenspitze;
über quer gestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln,
aus denen die plumpfingrigcn Hände kommen; widrig knapp sitzende Hose und gelbe,
vertragene Schuhe, die man nicht länger putzen kann.
Ein Strizzi. Ein Ludewig. Und mit der Stimme, der Artikulation eines Schauspielers.
"Wird es?" wiederholt er.
"Ich wünsche vor allem zu wissen", sage ich mit bebender Beherrschung, "wer
sich herausnimmt, hier einzudringen und bei mir Platz zu nehrnen."
"Vor allem", wiederholt er. "Vor allem ist gar nicht schlecht Aber du bist
überempfindlich gegen jedweden Besuch, den du für unerwartet achtest und
unerwünscht. Ich komme ja nicht, dich zur Gesellschaft zu holen, dich zu
beschrneicheln, daß du zum musikalischen Kränzchen stößt. Sondern um die
Geschäfte mit dir zu besprechen.
Holst du dir deine Sachen Es ist kein Reden beim Zähneklappern.«
Saß einige Sekunden noch, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Und der Frost, von ihm her, dringt mich an, schneidend, daß ich mich schutzlos und
bloß fühle davor in meinem leichten Anzug. So ging ich.
Stehe tatsächlich auf und geh durch die nächste Tür zur Linken, wo mein
Schlafzimmer ist (das andere ist weiterhin an derselben Seite), nehme aus dem
Spind den Wintermantel
...
(Dann S. 307)
Ich (recht höhnisch): "Außerordentlich Dürerisch liebt Ihrs, - erst
"Wie wirds mich nach der Sonne frieren" und nun die Sanduhr der Melencolia.
Kommt auch das stimmige Zahlenquadrat? Bin auf alles gefaßt und gewöhne mich an alles.
Gewöhne mich an Euere Unverschämtheit, daß Ihr mich Du
nennt und "mein Lieber", was mir allerdings besonders zuwider.
'Du'sag ich ja schließlich auch zu mir selbst, - was wahrscheinlich erklärt,
daß Ihrso sagt. Nach Euerer Behauptung konversier ich mit dem schwartzen Kesperlin,
- Kesperlin, das ist Kaspar, und so sind Kaspar und Samiel ein und
dasselbe."
Er: "Fängst du wieder an?!
Ich: "Samiel. Es ist zum Lachen! Wo ist denn dein c-Moll-Fortissimo aus
Streichertremoli, Holz und Posaunen, das, ingeniöser Kinderschreck
für das romantische Publikum, aus dem fis-Moll der Wolfsschlucht hervortritt
wie du aus deinem Felsen? Mich wunderts, daß ichs nicht höre!"
Wir hingegen wollen es jetzt hören:
C. M. von Weber, Der Freischütz, Anfang der Wolfsschluchtszene, "Milch des Mondes"; fis-moll, Erscheinung des Samiel, c-moll, bis nach dessen Abgang. |
Hörbeispiel 16: C. M. von Weber, Der Freischütz, Auszug aus der "Wolfsschlucht-Szene" |
Das gerade war die grausliche Wolfsschluchtszene, erwähnter "ingeniöser Kinderschreck für das romantische Publikum", die Vorabredeung zum Gießen der Freikugeln ziwschen Kaspar und dem Teufel aus dem "Der Freischütz" von C. M. von Weber.
Worum geht es in Doktor Faustus ? In diesem 1947, also im Alter von 72 Jahren vollendeten Werk, dem wohl tiefsten und feinstgewebten seiner Feder, vielleicht dem größten Roman, den die Welt besitzt, (vielleicht!), geht es, auch inhaltlich, um Künstlertum.
Der "Tonsetzer", also Komponist, Adrian Leverkühn, --- aus Elementen seiner wirklichen "Kollegen" Arnold Schönberg, Mahler, Hugo Wolf, Schumann, Strawinsky, Wagner collagiert, ohne jedoch eigenen Lebens zu ermangeln, --- gehört zu den größten Genies seiner Epoche.
In einem Bordell zieht er sich die Syphilis zu, unter dem Einfluß der enthemmenden Intoxikation schreibt er seine größten Werke, verfällt, 20 Jahre ca. nach der Ansteckung der geistigen Umnachtung, um weitere Jahre darauf zu sterben.
Dieses Schicksal, dem ja unter anderen auch F. Nietzsche und Huge Wolf verfallen waren, hatte die Literatur immer wieder beschäftigt. (Vgl. auch meinen Aufsatz: Die Syphiliphobie).
Mann stellt auf geniale Weise das Dämonische im Schatten der Genies aus der anderen Perspektive dar: Der Ich-Erzähler Serenus Zeitblom (sic!), enger Freund des Genies, findet einen Berg engbeschriebender Bogen Notenpapier, ein Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs, das Leverkühn mit dem Satan hatte.
Wie soll man das verstehen ? Ist es nicht wahrscheinlich so, daß
hier ein Mensch, der unter höchster psychischer Anstrengung und kurz vor
dem Zusammenbruch ein letztes Mal mit dem Wahnsinn ringt?
Er selbst wehrt sich ja gegen die Erscheinung, hält sie für einen Wahn,
In der Fortsetzung des ersten Zitates sagt er (S. 303)
"...Viel wahrscheinlicher ist, daß eine Krankheit bei mir im Ausbruch ist, ...".
So will er Erscheinung wehren, und dennoch,-- hätte ihn der Ekel nicht in Ohnmacht gestürzt, wäre er vielleicht auf das Angebot des Teufels eingegangen, ---
(S. 335)
"Zeit hast du von uns genommen, geniale Zeit, hochtragende
Zeit, volle vierundzwanzig Jahre ab dato necessi.[...]
Sind die herum [...] so sollst du geholt sein."
Oder ...? War es mehr als das? War es "wirklich"? Denn 24 Jahre später fällt Leverkühn tatsächlich in geistige Umnachtung, was der Leser aber erst später erfährt.
Hier ist Ironie nötig, um das Gräßliche zu ertragen.
Ironie z.B., daß der Teufel einen Vortrag hält über den verminderten
Septakkord (ja, genau den, der mit den vier "teuflischen Intervallen",
wie bereits oben angekündigt!) am Anfang von Beethovens Opus Hundertelf,
und Luther, Goethe, Bismarck und
segar Thomas Mann selbst
("Wo ich bin, ist Kaisersaschern!") zustimmend zitiert
und für seine Überredungszwecke schamlos umbiegt.
-- oder die Passage von den Bewohnern der Hölle
(Zitat S. 334):
Er. "Nicht schlecht. Wahrlich ingeniös. Und nun will ich dir sagen, daß
genau Köpfe von deiner Art die Population der Hölle bilden.
Es ist nicht so leicht in die Hölle zu kommen; wir hätten längst Raummangel,
wenn Hinz und Kunz hineinkämen. Aber dein theologischer Typ, so ein
abgefeimter Erzvolge, der auf die Spekulation spekuliert, weil er
das Spekulieren schon von Vaters Seite im Blute hat, -- das müßte mit
Kräutern zugehen, wenn der nicht des Teufels wäre."
Gräßlich aber die "geniale" Schilderung (wie schwer geht nun das Wort über die Lippen) der Hölle:
(Zitat S. 330)
"[...] Mit symbolis, mein Guter, muß man sich durchaus begnügen,
wenn man von der Höllen spricht, denn dort hört alles auf, - nicht
nur das anzeigende Wort, sondern überhaupt alles, - dies ist sogar
das hauptsächliche Charakteristikum, und das, was im allgemeinsten
darüber auszusagen, zugleich das, was du Neukömmling dort zuerst erfährt,
und was er zunächst mit seinen sozusagen gesunden Sinnen gar nicht fassen
kann und nicht verstehen will, weil die Vernunft oder welche Beschränktheit
des Verstehens nun immer ihn darin hindert, kurz, weil es unglaublich ist,
unglaublich zum Kreideweiß werden, unglaublich, obgleich es einem gleich
zur Begrüßung in bündig nachdrücklichster Form eröffnet wird, daß 'hier
alles aufhört', jedes Erbarmen, jede Gnade, jede Schonung, jede letzte Spur
von Rücksicht auf den beschwörend ungläubigen Einwand
'Das könnt und könnt ihr doch mit
einer Seele nicht tun': Es wird getan, es geschieht, und zwar ohne vom
Worte zur Rechenschaft gezogen zu werden, im schalldichten Keller, tief
unter Gottes Gehör, und zwar in Ewigkeit. Nein, es ist schlecht davon reden,
es liegt abseits und außer halb der Sprache, diese hat nichts
damit zu tun, hat kein Verhältnis dazu, weshalb sie auch nie recht weiß, welche
Zeitform sie darauf anwenden soll und sich aus Not mit dem Futurum behilft,
wie es ja heißt: 'Da wird.sein Heulen und Zähneklappern'."
Dies aber, so schrecklich es ist, ist eine sehr konkrete und zeitgemäße Schilderung der rechtlichen und handfesten Situation der Folteropfer in den Gestapokellern, keine dichterische Imagination, sondern unglaubliche Wirklichkeit!
Und dann, warum der Intellektuelle zur Hölle bestimmt ist, und was ihn dort erwartet:
(Zitat S. 332)
"Die Attritionslehre ist wissenschaftlich überholt. Als notwendig erwiesen
ist die contritio, die eigentliche und wahre protestan'tische Zerknirschung
über die Sünde, die nicht bloß Angstbuße nach der Kirchenordnung, sondern
innere, religiöse Umkehr bedeutet, - und ob du deren fähig bist, das frage
dich selbst, dein Stolz wird die Antwort nicht schuldig bleiben. Je länger, je
weniger wirst du fähig und willens sein, dich zur contritio herbeizulassen,
sintemal das extravagante Dasein, das du führen wirst, eine große Verwöhnung ist,
aus der mall nicht mir nichts, dir nichts ins Mittelmäßig Heilsame zurückfindet.
Darum, zu deiner Beruhigung sei es gesagt, wird dir denn auch die Hölle
nichts wesentlich Neues, - nur das mehr oder weniger Gewohnte, und mit Stolz
Gewohnte, zu bieten haben. Sie ist im Grunde nur eine Fortsetzung des
extravaganten Daseins. Um es in zwei Worten zu sagen: ihr Wesen oder,
wenn du willst, ihre Pointe ist, daß sie ihren Insassen nur die Wahl läßt
zwischen extremer Kälte und einer Glut, die den Granit zum Schmelzen bringen
könnte, - zwischen diesen beiden Zuständen flüchten sie brüllend hin und her,
denn in dem einen erscheint der andre immer als himmlisches Labsal, ist aber
sofort und in des Wortes höllischster Bedeutung unerträglich.
Das Extreme daran muß dir gefallen."
Und zum zweiten, dass er schon "unterschrieben" hat:
(Zitat S. 335)
So richteten wirs dir mit Pleiß, daß du uns in die Arme liefst, will sagen:
meiner Kleinen, der Esmeralda, und daß du dirs holtest, die Illumination,
das Aphrodisiacum des Hirns, nach dem es dich mit Leib und Seel und Geist so gar
verzweifelt verlangte. Kurzum, zwischen uns brauchts keinen vierigen
Wegscheid im Spesser Wald und keine Cirkel. Wir vind im Vertrage und im Geschäft,
- mit deinem Blut hast du 's bezeugt und dich gegen uns versprochen und bist auf
uns getauft - dieser mein Besuch gilt nur der Konfirmation.
Welche Sicht ist wahr? Könnte es wirklich sein, daß ...?
Mann gibt keine Antwort. Er drängt uns aber eine auf, indem
er die Fortführung des Romans ja steuert.
Aus der Klausel, daß Leverkühn "nicht lieben dürfe", läßt er eine ganze Kette von Morden und Unglück entstehen, das den Leuten zustößt, die Leverkühn zu lieben beginnt.
Dieser geniale (sic!) Roman steht ganz im kalten Lichte dieser Kernszene, man sollte sich für ihn warm anziehen! Also drücken hier auch die dichten (sic!) motivischen Verbindungen nicht Märchenwelt, sondern Grauen aus. Der Teufel erscheint, nein, scheint uns zu erscheinen, motivisch bedingt, vorher schon in anderen Menschen (Kapitel XIII (sic!), Eberhard Schleppfuß, und der Schlepper-Dienstmann "entfernt unserm Schleppfuß ähnlich" in der Bordellszene, Kapitel XVI, S. 191)
Gerade bei diesem Meisterwerk muß die Kritik ansetzen, welche Mann aber selbst vorwegnimmt, indem er in den ersten Zeilen schon den Erzähler bezüglich der von ihm beibehaltenen Unterscheidung lauterer/unlauterer Künstler ihn fragen läßt, ob diese Unterscheidung zu recht besteht, -- ob also der unlautere willentlich unlauter, ästhetisch, ist.
Frappant ist da ein Vergleich mit Manns Freund und Konkurrent Hermann Hesse, der nie eine gewisse Klobigkeit der Diktion abwerfen konnte, aber stets wohl äußerste ethische Entscheidung in durchaus christlich-sozialistischem Sinne forderte.
Zu Entscheidungen kommt der Ästhetiker, der Salonkünstler, der fingerfertige
Mann nie. Und trotz aller Tiefe der in Doktor Faustus ausgesprochenen
Gedanken bleibt ein zweiter Punkt der Kritik:
Manns Musikphilosophie, die er so als absolut postuliert, ist zwangsläufig
dilettantisch, und muß dilettantisch bleiben.
Wie schade, daß Goethe amusisch war, nein, wie gut, daß er sich nicht für musisch hielt (um das ver-teufelte Wort "musikalisch" nicht zu gebrauchen ...)
Ein vorletztes: Auch zum realen, wirkmächtigen Gehalt Wagnerscher Musik, die Mann wohl bewußt war, hat er sich geäußert. Hanno Buddenbrook "schwindet dahin" als zarter Knabe an der raffinierten Sinnenlust der ihn umgebenden Musik.
Dieser reale, oft bombastische, immer aber mitreißend-berauschende Anteil,
der Hauptanteil
Wagnerscher Musik, muß Mann erschreckt haben,
und diesem Schrecken wollte und konnte seine Ironie nicht wehren.
So ist der Doktor Faustus auch eine Antwort auf den Krieg, das
"Erlebnis" Hitler, indem er keine Antwort ist.
Mann kam nie los von seiner Haß-Liebe für Wagner, nicht bereit,
der Konsequenz die Lust zu opfern.
Und ein weiteres:
Mann hat den Punkt überschritten, an dem Geistreichigkeit und Anspielung zum Selbstzweck werden. Der Dilettantismus in der einen Gattung rechtfertigt sich durch das Genie in der anderen, --- aufgrund dieser Unschärfe kann er auf keine Gattungen mehr "setzen", weder als Genie noch als Dilettant.
Und deshalb ist Manns Romanschaffen zutiefst bürgerlich. Es braucht die Gesellschaft, die Konsumenten, die wissen, was er meint, kennen, worauf er anspielt, und die genügend Zeit und Muße haben, sich zu interessieren für die Themen, die er "auf gleichsam musikalische Art" verarbeitet, "durchführt".
"An seinem Verhältnis zur Zeit erkennt man den Menschen" (Hengstenberg [???]), und Mann flüchtet vor ihr in sie. Vor der Anforderung "der" Zeit in "seine" Zeit, seine Gediegenheit, Bildung ..., ins Bürgertum.
So ist "Bürger und Künstler" nicht nur oft zitiertes Grundthema, wie billig, sondern Notwendigkeit, nein, Ziel und Traum, nicht erreichbar, aber nur gezwungen gewollt, da man sich nicht äußern kann oder will oder nicht mehr kann.
So schlägt hier Wirklichkeit des Gedankens in Künstlichkeit der Form um, das Verhältnis pervertiert, die Kunst wird zur interdisziplinären Artistik.
Wie hieß die Definition des Motivs? -- Eine Wiederholung muß unmittelbar geschehen, ist es das nicht, so ist das Motiv nicht ein solches, sondern zunächst Teil eines höheren Ganzen.
Das aber ist Manns Ironie, daß das Zufällige sich allzu gefällig ordnen läßt von überblickendem Künstlers Hand, der mit dem Leser ein Spiel spielt, das auf Verwandtschaft beider Geister, auf gütig-harmonische Distanz beruht.
Und das ist seine Ironie, daß sie die Zeit der Handlung und des Romans sich untertan macht, sie übergeht, vergewaltigt, ohne sie zu bestehen, zu verstehen, denn sie stellt sich nicht ihrer Forderung.
Sie kämpft nicht, sie sagt nichts, sie ordnet nur, wofür man dankbar sei,
die überladene Kulturgeschichte, --- sie übersieht, sie ironisiert
und weiß von der Nichtigkeit des Inhaltes und der Überlegenheit der Form
und des Motivs, das uns so leitet.
Sie schaut zu und schmunzelt.
Und so treffen sich zwei Ströme der Geschichte, zwei Gegenteile.
scheinbar vereint, um dann getrennt, gemeinsam verwüstend mordend
anzuschwellen:
da ist der Formverfall der späten Lyrik,
der Verlust der Übersicht, des Hörens auf das was man tut, - und in der Musik
das zuviel Hören, der Effekt, die Wagnersche letztliche
Formlosigkeit, sein schiefes Verhältnis zur Form,
und da ist bei höchster Vollendung kompositorisch-kontrapunktischen Handwerks
der Inhaltsverlust gewollt oder gezwungen
1
,
bei Mann, bei "Neuer Musik", u.s.w.
2
Es bleibt übrig nur die Unfähigkeit, der gute Wille und der schlechte Stil (Hesse).
Doch Mann, dem Erbe der Genies, was blieb ihm sonst ...? Und hat man einmal die Ironie gewagt, so hat man auf alle Zeiten vergeben das Recht, ernste Dinge, Wahrheit zu sagen.
Was er geleistet hat: "Heute" noch ein wahrhaftes Märchen zu schreiben, --
die dichtesten Strukturen (Verdichtung) solcher Länge zu schreiben,
-- bezahlt hat er's mit der Sehnsucht nach Wahrheit, mit dem klaren Wort,
der Entscheidung, der Verantwortung,
der Ernsthaftigkeit.
[schenkerHL]
Neue Musikalische Theorien und Phantasien, Band Eins, Harmonielehre Universal Edition, Wien, 1906 |
[KgH]
Königliche Hoheit Fischer, Berlin, 1909 |
[KgH2]
Königliche Hoheit Fischer, Frankfurt, 1984 |
[DrF]
Doktor Faustus Bermann-Fischer, Stockholm, 1947 |
[DrF2]
Doktor Faustus S. Fischer, Frankfurt, 1980 |
[RhG]
Das Rheingold Schott, Mainz, 1880 |
1
Man sehe doch nur die quälende Passage in Doktor Faustus, I, (S. 11)
"Hier breche ich ab mit dem beschämenden Gefühl artistischer Verfehlung
und Unbeherrschtheit. ..." --- Mann kann das Frivole
nicht lassen, ja, er genießt die Sezierung seiner eigenen Schreibweise mit besonderer
Frivolität...
2
Und dieser "Indifferentismus" ist ein durchaus deutsches, deutsch-bürgerliches
Phänomen als unumgängliche Voraussetzung für z.B. faschistische Bewegungen.
Mann ist Deutscher in jedem Wort!
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