Minstrels
Klausur im Leistungskurs Musik, Jahrgangsstufe Dreizehn,
bei Dr. Edgar Makosch, zum Thema
Claude Debussy:
Prélude pour Piano, Ier Livre -- No XII -- Minstrels
Die Klausuraufgabe lautete:
1 -- Untersuchen und charakterisieren Sie die motivischen Elemente der
Komposition und versuchen Sie, die formale Intention der Gesamtanlage festzustellen.
2 -- In Reclams "Klaviermusikführer" (Bd. II, S. 585/86) stellt Klaus Billing fest:
"In den Préludes erscheinen die Farben zunehmend durch Konturen abgelöst.
Merkmal des Hochstiles Debussyso
Je mehr er seine Emotion überwacht und das subjektive Gefühl
vin der äußeren Hülle wegzieht, desti stärker wäohst der Appell an das
Aufnahmevermögen des Ohres und die Vorstellungskraft des Geistes;
die aktive Mitarbeit des Hörers wird durch die scheinbare Kühle der
Formen herausgefordert"
Versuchen Sie zu klären, wie weit Debussy in dem vorliegenden Prélude
auf diesem Wege vorangeschritten ist.
3 -- "die übliohe geschichtliche Klassifizierung läßt auf die romantische
Klaviermusik in der Linie Chopin -- Liszt die impressionistische
folgen, wobei dann Debussy als Hauptvertreter des musikalischen
Impressionismus gilt. Es wird dabei übersehen, daß dieser Begriff nur mit
Einschränkungen auf Debussy anwendbar ist.
Die Wortprägung "Musikalischer Impressiaionismus",
im Grunde literarischer und feuilletonistischer Herkunft,
entsprang eimem Bedürfnis nach fachgerechter Einordnung der komplexen und
rätselhaften Erscheinung Debussys. Sie hat sich bis heute hartnäckig
erhalten und ist Bestandteil der musikalischen Terminologie geworden, obwohl
man sie längst als einseitig und anfechtbar erkannt hat.
Auf dem Gebiet der Literatur würde man nicht wagen, etwa Baudelaire, Verlaine,
Mallarm6 wegen ihrer Gleichzeitigkeit mit Manet, Degas, Renoir als impressionistische
Dichter auszurufen.
Dagegen war die musikalische Welt so gedankenlos,
dem Stil Debussys das·Etikett "Impressionismus" anzuhängen,
als Begriff, den Debussy selbst in vielen Äußerungen mit zunehmender Schärfe ablehnte
[...] seine i-Iusik gehorcht ihren eigenen Gesetzen und weist weit über das
hinaus, was bloß tönende Ubertragung eines malerischen Stiles wäre.
Wir sehen heute Debussy
nicht nur als Exponenten des Fin de si~cle, sondern als schöpferische
Potenz von höchstem Range ,deren Wurzeln bis tief in
die Vergangenheit reichen und deren Auswirkungen sehr wahrscheinlich
sioh bis in ferne Zukunft erstrecken werdem".
(Klaus Billing) (A.a.O., S. 551/52)
Reflektieren Sie den Inhalt des vorstehenden Textes unter der Fragestellung,
ob die.Komposition stilistisch als "impressionistisch" gekennzeiohnet werden kann.
Das "Prélude" "Minstrels" von Claude Debussy zeigt eine klare dreiteilige Anlage der Form:
Die Gesamtstruktur des Stückes ist äußerst klar und durchsichtig: In horizontaler Richtung klar voneinander abgegrenzte Taktgruppen, die in sich (vertial gesehen) weitgehend homogen sind, stehen sich gegenüber. Das verleiht dem Stück eine äußerste Plastizität der motivischen Struktur. Auch das Material wird sorgfältig getrennt und unterschieden.
Die adäquate Analysemethode, um mich diesem Stück zu nähern, d.h. den gehabten Klangeindruck zu objektivieren und zu überprüfen, scheint mir ein "globales", vom Großen ins Kleine gehende Verfahren zu sein.
Was man beim ersten Hören bei oben beschriebener Anlage des Stückes mitbekommt, sind Hierarchien und Ordnungen dieser Taktgruppen, "Klangeinheiten" möchte ich sie im folgenden nennen.
Es stehen sich gegenüber die Klanggruppen, in denen das rhythmische Element überwiegt, und die, in denen Harmonik (und in untergeordneter Bedeutung auch Melodierudimente) eine Rolle spielen.
Melodik oder Thematik im weiteren Sinne ist hier im ganzen Stück vorhanden 1 , die ersten Takte könnten Teil eines "Gassenhauers" sein, Melodik auf ihrer Primitivstufe.
Dennoch gehören die ersten 4 Takte zu jenen Klangeinheiten, in denen das rhythmische Element vorherrscht.
Ich meine das nicht nur im Sinne des hörbaren, nach außen gekehrten, des "rhythmischen Verves" des Anfangs, sondern das konstitutive ELement dieses "Themas" ist der Rhythmus.
De heißt: a) das, was diese 4 Takte zu einer Ganzheit rundet, die,
wie wir sehen werden, fähig ist, den Bau (-- hier darf man, bezogen auf
den ersten Teil auf jeden Fall, von musikalischer Konstruktivität
reden, im Gegensatz zu fast allen anderen mir bekannten Beispielen
Debussyscher Musik), -- die also fähig ist, die Konstruktion zu
tragen, -- was diese 4 Takte zusammenhält ist ein rhythmisches Prinzip,
und
b)
wird Rhythmus hier nicht als Funktion der Melodie (wie in der Klassik)
oder des Klanges, sondern im Sinne einer kompositorischen Aufarbeitung
verselbstständigt.
Also: Rhythmus wird zum Material der Komposition und der rhythmische Prozess zur Substanz des Themas.
Dieser kompositorische Prozess, der Inhalt der ersten 4 Takte, das Thema sozusagen, ist die Verwandlung von a nach b, das Auffüllen des Motivs a mit immer mehr Sechzehntel-Noten. Der rhythmische Inhalt der ersten Takte heißt:
Dieser rhythmische Wachstumsprozess sieht fürchterlich banal aus, und in der Tat könnte das die erste Zeile eines Gassenhauers sein, auch anbetrachts der trivialen Wiederholung. Dennoch geschieht musikalisch etwas ziemlich kompliziertes. Das Erstaunlichste aber ist, daß Debussy dies komponierte [Sinn ??]. Denn er schafft so (einfachste, aber logische) musikalische Substanz. Mehr noch, er komponiert Ryhthmus. Mag das auch alles programmäßig zu begründen sein, so nimmt ein Programm doch nie weg von musikalischer Qualtität, höchstens, daß es versucht, etwas hineinzischwindeln.
Es geschieht folgendes:
In den Takten 2 und 3 kommen lediglich weitere Anschläge des "fis" himzu,
bis die zweite Zählzeit ganz mit Sechzehntel-Noten angefüllt ist.
Gleichzeitig wird die Aufwärtsbewegung (siehe Pfeil ) in
Takt 3 "abgeschlossen" durch die Abwärtsbewegung zu e und d.
Gleichzeitig wird in Takt 4 dem beibehaltenen Harmoniemodell (T-D pro Takt)
kontrapunktisch das Rhythmus-Modell entgegengesetzt:
Der erste Halbtakt von Takt 4 entspricht dem letzten Halbtakt von Takt 3:
Die entstehende Struktur
Takt 3 | 4 x y | y z |
hat stark kadenzierenden Charakter.
Gleichzeitig verschwindet die Zweischichtigkeit.
Dieses Verschwinden wird auch durch einen sorgfältig "dosierten"
Prozeß herbeigeführt:
1. Schritt. gemeinsamer Anschlag in Takt 2 (d+fis)
2. Schritt: ein Ton statt Oktave [in der linken Hand] in Takt 3
3. Schritt: Fehlen der rhythmischen Eins [in der linken Hand] in Takt 4
Was von der "Schicht 2" der linken Hand bleibt ist das Intervall der Oktave, das in die andere Schicht einfließt.
In Takt 4 hört mal also einen Halbschluss, bestärkt durch den Rhythmus und die agogische Dehnung. Gleichzeitig lebt aber die Anfangs-Achtel "d" der linken Hand (Schicht 2) wieder auf. Eine Wiederholung, die nach klassischen Regeln zum Ganzschlus führen müßte, ist die einzig mögliche Fortsetzung.
Die Wiederholung kommt, doch nicht im Sinne eines schließenden Nachsatzes, sondern wörtlich. Debussy spielt mit den Formen und Musikkonventionen, ganz im Sinne des "Programms", musikalisch intendiert er bei größter Klarheit der Gliederung eine nach allen Seiten offene Form.
Die mit einer gewissen Über-Deutlichkeit durchgeführte Betrachtung der ersten Klangeinheit (man könnte auch von "Gesten-Einheit" reden), sollte zeigen, daß man diese deutlich getrennten Einheiten wie Einzelkompositionen für sich und in sich stimmig aufschlüsseln kann.
Natürlich kann man das mit einem Beethovenschen Thema auch, man denke nur an das des zweiten Satzes der Fünften Sinfonie, worin sich ein ganzes Systemdenken wiederfindet. Aber bildete dort die einmal geschlossene Einheit das Fundament und den Generator für alles folgende, entwickelt sich aus jenem Thema "organisch" der ganze Satz, so ist es hier anders.
Scheinbar beziehungslos sind die Einheiten auf doppelte Art
verbunden:
a) durch die äußere klangliche Einheitlichkeit.
So entstehen die Großteile A und A', weil die in ihnen
auftretenden "Gesten" nach außen "ähnlich" --- halt "rhythmisch"
wirken,
b) durch unterirdische Materialverknüpfungen, vgl. z.B Takt 17 mit Takt 3
und Takt 16 mit Takt 1.
Ich möchte nun die weiteren "Klangeinheiten" zergliedern, ihren äußeren Charakter und ihre innere Struktur (homogen, heterogen, statisch, dynamisch) kurz erläutern und auf die motivischen Verknüpfungen eingehen.
Klangeinheit 2 (Takt 9 ff).
Takt 9/10 verhält sich zu 11/12 wie Vordersatz/Nachsatz: Stehend zu bewegt,
auf zu ab, Öffnen des Klangen, Schließen.
Gleich ist der Rhythmus, und daß stehende Klänge zugrundeliegen
(Takt 11f nur die Töne des soeben erklungenen Akkordes).
Takt 13,14 ist eine zusammenfassende Coda.
Der dem ganzen innewohnende Prozeß:
das tote Intervall e-g (der Akkord am Ende von Takt 10 klingt als eine
vorgezogene "rhythmische" Eins des Taktes 11, somit klingt die kleine
Terz e-g noch [??] tot) -> wird zum hörbaren Motiv.
Klangeinheit 3 (Takt 16 ff): Verzerrte Reminiszenz an Takte 1 und 4/5. Neu sind die Chromatik in der "Schicht 2" und die Ausweichung nach Fis-Dur.
Klangeinheit 2 wird wiederholt (Takte 19 bis 25)
Klangeinheit 3 wird wiederholt, mit einer starken Ausweichung nach Es-Dur (große Terz über der H-Dur der ersten Ausweichung), welches nicht nur durch seine harmonische Position im Gesamtplan, sondern auch konkret klanglich (ges zu Beginn, g in Takt 30) stark "getrübt" und schmutzig wirkt.
Motivisch "führt" es die Umkehrungsform der ersten Motivs
"durch", und entwickelt in seinem zweiten Teil (Takt 28,29, wörtlich wiederholt in Takt 30, 31) ein "Aufschwungmotiv"
, zuerst mit Quinte, dann mit Oktave erscheinend.
Takt 33 erscheint als Abschluss dieses Teils der Nachsatz der Klanggruppe 2, der hier seine abschliessende, kadenzierende Funktion ausübt: Jetzt ganz eindeutig: Motiv 2, die Terz e-g, im Baß.
Durch diesen Einschnitt gekennzeichnet beginnt ein neuer Teil. Er zeichnet sich durch Heterogenität der in ihm erscheinenden Klangfiguren aus. Diese selbst sind teilweise [in sich] heterogen.
Klangruppe 4:
Vorherrschen des harmonischen Elementes, übermäßige Dreiklänge.
Zweiteilig: Teil A(Takt 37, 38) melodische "Äußerung", die noch klingende
Baßschicht e-g wird integriert.
Teil B: Auftreten eines Oktavmotivs, welches an Deutlichkeit zunimmt
bis zur
-Form in Takt 44.
Die Verbndung zu den anderen Teilen besteht in Motiv-2, der kleinen Terz, die sich z.B. in Takt 40 hinter b-cis verbirgt. Der Ryhthmus dieses Taktes entspricht mit seiner starken Synkopierung druchaus dem des Taktes 11.
Klanggruppe 5: Takt 45/46, sofort wiederholt:
Motivisch bezogen auf das Sechzehntel-Motiv g-e-d-e des Taktes 11.
Bereitet dessen Einsatz in Takt 49 vor. Keine Prozesse, Verbindung von
Klang und Rhythmus. (In der Tat ist der Rhythmus hier nicht mehr primär.)
Klanggruppe 6: Takt 51/52.
Obwohl vielleicht aus dem selben Motiv "ableitbar", ist doch etwas Neues gemeint:
Ein leise hinweghuschendes, sich dem gehörsmäßigen und analytischen
Zugriff entziehendes, unwirkliches Gebilde. Vom "Satztyp" etwas völlig
aus der Reihe fallendes, -- Scherzando.
Man beachte die typische Df-Sequenztechnik der folgenden Takte.
Die nun folgende siebte Klangeinheit steht aufgrund von tiefer Lage und Einstimmigkeit in loser assoziativer Beziehung zum Ausklang des A-Teils. Sie scheint die Funktion einer Rückführung zu haben. Sie führt den Satz auf einen Nullpunkt zurück, um von dort so etwas wie Reprise zu beginnen. Diese Stelle erinnert mich stark an die Rf im ersten Satz der dritten Sinfonie Gustav Mahlers, wo plötzlich und unvermittelt einsetzende kleine Trommeln "hinter der Szene" die Reprise ankündigen.
Hier vereinigt der Komponist zwei widerstrebende Tendenzen: das klangmalerische des Trommelrhythmus, auf dem Klavier realisiert durch eine kleine Sekunde, einem motivisch völlig neuem Material (und dazu dem völlig neuen Ryhthmus der Triole, auch trommeltypisch) -- andererseits die Funktion der Rf, mit Elementen des Themas dieses hervorzulocken (vgl. Beethoven, op.3 Nr.1, wo man's sehr schön hört.)
Stärker jedoch ist das assoziative Element: Ähnlich wie auf die erste einstimmige Baßstelle [Takte 35,36] folgt hier eine stark chromatische Stelle, Klanggruppe 8.
Sie ist "substanziell", d.h.so wie sie wäre, wenn sie wäre, wie sie nicht ist, also trivial, -- dann wäre sie zweiteilig: Takt 68 mit Auftakt bis 71 als VS mit quasi Halbschluss, dann Takt 72-74 NS mit Ganzschluss.
Diese komponierte Struktur wird dekomponiert.
Zuerst, indem die eigentliche Kadenz, der chormatische Teil, die Takte 71ff also, vorangestellt wird. Man hört aber sehr genau, daß vom musikalisch hochstehenden Standpunkt aus diese "kadenz" nicht hier "hingehört". Sie wird in prmitivster Doppelpunktwirkung, im Sinne der aus der Unterhaltungsmusik bekannten tonalitätsklärenden vorgeschalteten Kadenz oder Einleitung, einfach davorgepappt.
Dadurch wird zwar der Themeneinsatz Takt 68(m.A) vorbereitet, in Nachhinein aber, bei der Wiederholung, die ja keine ist, der Takte 64ff stellt man eine gewisse Kurzatmigkeit der Form fest.
Debussy spielt mit den Konventionen, er dekomponiert a-priori-Strukturen, er verwirrt das Hörempfinden: Der Halbschluß ist kein Halbschluß, sondern Schluß auf einer umgefärbten Tonika (Takt 70). Der Ganzschluß steht am Anfang, und wo der Ganzschluß hingehört, kommt ein Trugschluß.
Inhaltlich sind die Melodien völlig neu, und auch als neu gesetzt. Die Reminiszenz von Chromatik zu Chromatik ist rein äußerlich. Die Hauptmelodie der Takte 68 ff klingt wie das Zitat eines amerikanischen Schlagers, wahrscheinlich ist es das auch.
Der unteschwellige Prozeß: Aufkommen des Motivs der Takte 11, 12 in Takt 70 und 74, Komplexierung der Schichten bis zum Zitat des Taktes 42/2 in Takt 76/2, ff
Die Reprise collagiert noch einmal (zeitlich wohl getrennt!) das Thema der Klanggruppe 1, den Trommelrhythmus der Klangeinheit 7, der sich somit zur ersten Sphäre zugehörig erweist, und VS und NS der 2. Klangeinheit. Der Schluß wird gebildet durch das Terzmotiv.
Die Aufabe nun ist es, die notwendigerweise (!!!) der Komposition folgend ebenso zersplitterte Analyse zu ordnen und auszuwerten. Wir haben gesehen, daß Debussy einen zeitlich klar gegliederten Alblauf der Einzelelemente verbindet mit der substanziell größtmöglichen Einfachheit ihres komponierten Inhaltes durch Beschränkung (nur Rhythmus, nur übermäßige Dreiklänge, nur Material 1, u.s.w.) Das potenziert sich in der Großform, d.h. es gibt Felder und Formteile, die sich nur mit aus Klangeinheit 2 abgeleitetem Material befassen, andere, die nur Neues bringen, andere, die gegenüberstellen.
Es gibt also Abgeleitetes und Bewußt-Neues, Zitathaftes. Es gibt Homogenität und Heterogenität auf allen Ebenen, aber die Heterogenität ist als solche homogen und wieder genau abgegrenzt.
Über diese Abgrenzung in vertikaler und horizontaler Hinsicht gibt es materialinterne Verknüpfungen, die dem Ganzen einen Zusammenhalt geben, es gibt vom äußeren Gestus Flächenbildung, und es gibt, gerade wegen der strikten Abschnittstrennung, diese gewisse Freiheit und Beliebigkeit im Umgang mit dem Material. Alles, was wir gesagt haben, ist so(nehme ich an), könnte aber auch anders sein.
Waltet in Teil A noch die Notwendigkeit, so ist der mehr heterogene Teil B "beliebig". Man könnte es als einen Impressionismus auf höherer Ebene bezeichnen, als ein Umgehen mit musikalischen Verhaltensweisen, als die Darstellung, die stark gefilterte Darstellung der "handelnden" Wirklichkeit der Straßensänger, eine Impression also, die nicht mit Farben zu malen ist, sondern eher mit einer Collagetechnik, mit Fetzen aus Illustrierten.
Dennoch aber hat diese Musik in Klang und auch im "Klang der Form" eine Leichtigkeit und, hier als Verspieltheit deutbare, Unbeschwertheit, die mich an impressionistische Malerei (Degas z.B.) erinnert.
Sehr wohl die Gefahr bemerkend, feuilletonistisch zu werden, frag' ich mich, inwieweit eine "Einordnung", ein Schubladendenken nötig und angemessen ist. Dem zweiten Teil von Billing möchte ich entgegenhalten, daß Stücke wie Die versunkene Kathedrale sehr wohl vom Klange her vergleichbar mit impressionistischen Bildern sind.
Von dieser Betonung der Klanglichkeit ist hier nichts mehr übrig. Betont wird der Klang, der gemeint ist, der Gestus, der zitiert wird; -- das Ganze ist ein Scherzo, das seine Scherzhaftigkeit aus der Parodie, aus dem parodierenden, überzogenen und realistischen Umgang mit dem Material zieht. So wird mit Musik umgegangen. Ich sehe in dem Stück einen stark parodisierend-realistischen Zug.
Andererseits aber wird dieser Realismus künstlerisch aufgearbeitet und gefiltert, in Form und Struktur gebracht, geordnet und auf sein Wesentliches beschränkt. "Prototypen" von Musikbehandlung werden herauskristallisiert und gegeneinandergestellt.
Dasselbe geschieht mit der unmittelbaren Klanglichkeit: Es wird verzichtet, beengt, beschnitten. Die Klänge werden dadurch herber und spröder. Der unmittelbar sein wollenden Sinnlichkeit steht hier eine unmitelbare Plastizität und Kargheit gegenüber.
Diese Kargheit bezieht sich allerdings nur auf das von Debussy Komponierte. Das Ziterte, Gemeinte, die Musik der Kneipen und Tanzlokale ist lebensfroh, unverwüstlich und übermüttig. Sie klignt voll und robust. Das Spröde liegt in der Abstraktion.
Und obwohl ich dieses Stück nicht als impressionistisch ansehen kann, zeigt es doch die Möglichkeit, in die impressionistische Musik gehen muß:
Die Klangsinnlichkeit der Quarten und Quinten, das geheimnisvolle Tönen des pedalisierten Klaviers, das Baden in Bordunen, das alles muß mehr und mehr in die Abstraktion, dh. in die künstlerische Verarbeitung, die Form und Struktur und in die künstlerische Gültigkeit übergehen.
Debussy, und das verbindet [ihn mit] und trennt ihn vom malerischen Impressionismus, wollte seine Klangempfindungen "ausdrücken", wollte mit der sinnhaften Unergründbarkeit von Klang arbeiten.
Soll er. Aber:
1)
Auch Komponisten, die meinten "Themen" zu schreiben und Melodik,
haben immer Klang mitgeschireben, Beethoven "klingt" halt
immer nach Beethoven, -- und sie haben teilweise
Klang komponiert. (Die späten Bruckner-Sinfonien,
die fünfte schon, besonders die neunte, schlagen um in
Klangfarbenkompositionen.)
Wenn ein Komponist also den Klang in der Vordergrund rückt, wie
es z.B. in unserer Zeit Ligeti getan hat, so macht er damit nichts,
als das, was ihn an anderen Kompositionen essentiell und verkannt
dünkt, beim Namen zu nennen und auf sein Banner zu schreiben.
Er wendet sich einem Gebiet der Musik bewußt zu, das ihn ergriffen hat
und dem er sich widmen will und in dem er sich wiederzufinden hofft.
Folglich macht er nur bewußt, was andere auch schon taten.
2)
Somit ist Klang sein neues Material. Aber
allzuleicht will das, was gemeint ist, in völlig andere Richtung.
So wie die "Klassiker" schon Klang komponierten, so muß
Debussy auch eine "Form" finden.
Die früheren Werke werden zu "Brei". Denn das, was gemeint ist, geht verloren unter der riesigen Masse des Klingenden. Die Vorstellung einer versunkenen Kathedrale geht verloren in der unterm Pedal versunkenen Musik. Da es nicht wirklich möglich ist, Eindrücke mitzuteilen, sondern stets nur der "Ausdruck", die musikalische Substanz übrigbleibt, deshalb sind in meinen Ohren Stücke wie die "Nocturnes" reisige Kataloge von Breizusammensetzungen. Die Klangflächen, -massen, -prozesse, -flecken und -mischungen verdecken das einzelne, das so unendlich subtile Ereignis "Klang" und machen statt einer Komposition ein amorphes Kompendium schmutziger Orchesterfarben aus.
a) Klang bedarf, soll er komponiert werden, der Reinheit (die man natürlich später verwischen kann.) Klang ist etwas sehr feines und subtiles. Man denke nur an den Beginn von Ligetis Streichquartett Zwei, wo ganz fein in verschiedensten Flageolet-Tönen die Geigen flimmern.
b) Klangkompositionen bedürfen einer Struktur. Diese Struktur verhält sich zu den in jedem Klang angelegten Möglichkeiten der Entwicklung wie z.B. ein tonaler Ablauf zu den in einem Dreiklang gegebenen Möglichkeiten.
Die Einleitung zur ersten Sinfonie Mahlers mit ihren verschiedenen Tönungen ein und desselben Tones "a" ist so eine Struktur, in der jeder Ton seinen Platz hat, -- und gerade deswegen entsteht der Eindruck, als sei hier ein Total komponiert, als seien alle Perspektiven, die dieser Ton klanglich hat, durchlaufen worden, als befinde man sich fern von etwas und sehe alle seine Seiten zugleich, weil man es in sich trägt.
Gefallen mir Debussys Orchesterwerke aus diesen Gründen absolut nicht, so sehe ich hier, in diesem Stück, obwohl es diese Linie nicht fortsetzt, Ansätze, sie fortzusetzen, Möglichkeiten, zu einer künstlerischen, "beschränkten", subtilen, mitreißenden, mitteilenden, gereinigten und strukturierten Form zu kommen.
Beispiele dazu bilden die Stücke von Erik Satie, die in hohem Maße klangfarbenbestimmt sind (Gnossiennes 1-6, z.B.!), und in denen die Farbe konstruktiv wird.
Auch das vorliegende Stück klingt ironisch Satie-isch. Es ist ein Stück voller widerstrebender Tendenzen, en Abbild seiner Zeit und mehr noch der erste kommenden (Zwanzigerjahre), ein völlig anderer Debussy.
1
Ein weiterer Gegensatz zu z.B. der "versunkenen Kathedrale".
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