Markus Dräses Altes Heim
Anmerkungen zu der Ausstellung "Das junge Heim" von Werken
von Markus Draese in der Botschaft Brasiliens in Berlin, Herbst 2015
, Oktober 2015
Ein Maler findet im Nachlaß eines Verwandten -- zwei Generationen
älter -- ein Fotoalbum.
Was tut der Maler?
Er beginnt zu malen.
Im Werke Markus Draeses ist das Spiel mit den Medien von grundlegender Bedeutung. Oft ganz offensichtlich, aber immer zumindest im Hintergrund: Gemälde werden fotografiert, Fotografien zerschnitten, Skulpturen installiert, Installationen gemalt. Ein Kreis schließt sich dabei nie.
Hier nun die Fotos, Schwarzweißfotografien seines Großonkels, der 1929 nach Brasilien
ging, um dort als Architekt zu leben und durchaus nicht unbedeutende Aufträge
auszuführen.
"Das junge Heim" nennt der das Fotoalbum, das er wahrscheinlich nach Deutschland, in
die "alte Heimat" schickte. Im Zentrum stehen die Jahre 1930-35, der Großonkel
dokumentiert seine wohl wichtigste Baustelle, das Waisenhaus "Nostra Signora da
Piedade" in Porto Alegre, im Auftrag der betreibenden Franziskaner.
Vermutlich war es diese Verbindung, die
ihn zur Übersiedlung bewog, oder sie jedenfalls möglich machte.
Er dokumentiert Berufliches und Privates: das
Arbeitszimmer, die Wohnung, die Ehefrau mit dem kleinen Kind ...
Eine Fotografie kann zur Malerei in verschiedenartigsten Beziehungen stehen, und
manche davon hat Markus Draese systematisch erforscht.
Hier eine neue:
Was malt man, was sieht man, was stellt das Bild dar, wenn es "nach" einer
Fotografie gemalt ist?
Denn rein epistemologisch ist es ein altbekannter Unterschied, ob etwas sich auf die
Fotografie bezieht, oder auf den fotografierten Gegenstand (vgl. Goodman,
Magritte). Die in dieser Ausstellung "Das junge Heim" gezeigten
Malereien Draeses stehen diesbezüglich in einer bemerkenswerten
Zwischenposition:
Ein Foto unzweideutig als solches zu malen ist möglich, aber wohl nur, wenn
zumindest ein kleines Stück außerhalb seiner mit abgebildet wird, ein kleines Stück
eines realen Bezugsrahmens, einer haltenden Hand, der Vase an der es lehnt, etc.
Dies ist hier nicht der Fall. Wir erleben vielmehr einen mehrstufigen dialektischen
Prozess:
Zunächst ist Malerei in Schwarz-Weiß seit langem bekannt als Akt des Protestes, der
Verweigerung, des Anti-Kulinarischen.
In einem zweiten Schritt erkennen wir, dass Schwarz-Weiß hier nur dargestellt, aber
nicht verwendet wird: Unter keiner der aufgetragenen Farben ist tatsächlich schwarzes
Pigment.
Hier ist eindeutig Schwarz-Weiß als formales Prinzip gemeint, und durch das Grau, das
Braun, das Sepia entsteht die Aura "Altes Foto".
Aber unter der Schwelle der bewussten Wahrnehmung, oder genauer: Erst durch sehr genaues Hinsehen bewusst werdend, ist die Darstellung des Dargestellten durchaus farbig, die Schatten leuchten, die Tiefe verliert sich, die Wände lösen sich auf, es tritt ein "Farbkanal" als Informationsgehalt dazu, den das Foto ausdrücklich nicht aufweist.
Wenn wir die Gemälde Draeses betrachten, blicken wir also einerseits "auf"
das Foto, aber zugleich auch "durch das Foto hindurch", was ja dessen ursprüngliche
Funktion ist.
Also muss die Welt hinter dem Foto dem Maler ein wirklicher Gegen-Stand sein! Er
muss, um so malen zu können, von der Darstellung auf die psychointerne Modellbildung
übergehen, muss die hinter dem Foto liegende Welt betreten, in die Kapelle
hineingehen, um den Schreibtisch herum.
Selbst wenn letztlich nicht mehr als identische, nur vergrößerte
Farbflächen herauskämen, so muss der Maler doch
die zweidimensionale Darstellung zunächst in eine dreidimensionale Vorstellung
übersetzen (im Falle der Arbeitsprozesse in der Kapelle gar vierdimensional
!-), um sie malen zu können.
Denn Malen ist, wie jede künstlerische Umsetzung, die Darstellung der
Wirksamkeiten
der Wirklichkeit, die Darstellung von Wahrnehmungsvorgängen,
Erfahrungszusammenhängen, Empfindungen und Haltungen, und niemals nur "reine
Objektivität" mit einem naiven, unhinterfragten und erkenntnistheoretisch unmöglichen
Anspruch.
Also betritt der Maler die dargestellte Welt erst einmal physisch, in ihrer eigenen
physikalischen Logik, als würde sie heute noch so dastehen.
So hat Draese ausgehend von den (zweidimensionalen) Fotografien der
Waisenhauskapelle, ihres Turmes und Daches,
perspektivische Konstruktionsskizzen rekonstruiert,
um ihren räumlichen Gegebenheiten Herr zu werden. Ist das ersteinmal geschehen, so hat
dann der Künstler auch das Recht, ja, die Pflicht, eine Leiter weiter nach rechts zu
rücken, wenn sie dann die Größenverhältnisse besser darstellt als im Vorbild.
Er darf den
Schatten über die Arbeiter dichter oder lichter werfen, jenachdem welche Stimmung
er vermutet, er darf vergrößern, ausschneiden, glätten und aufrauhen, da er ja
jetzt das Dargestellte besser kennt als der unvorbereitete Betrachter,
der nur das Foto sieht, er aber die Realität dahinter.
Aber der Maler taucht ja nicht nur in den Raum ein, der hinter dem
Foto liegt, sondern auch in dessen Zeit.
Und da wird es schwierig!
Da heißt es vorsichtiger vorzugehen als im unschuldigen Bereich von Körpern
und Leitern, Winkeln und Baustellen.
Denn die Jahre um 1930 sind keine unschuldigen.
Draese weiß nichts Genaueres über die politische Einstellung seines Großonkels,
ob Politik eine Rolle spielte bei der Emigration, in welcher Hinsicht, etc.
Da verbietet es sich, zu spekulieren.
Was möglich wäre, vielleicht gar erforderlich, ist genaue Recherche und ehrliches
Berichten.
Kann man dem vorgreifen? Kann der Künstler, kurz nach Beginn dieser Nachforschungen,
parallel bereits beginnen, munter loszumalen?
Wir meinen: ja. Denn Malerei ist, wie jede Form ernsthafter künstlerischer Auseinandersetzung, ihrerseits per se schon ein Mittel der Nachforschung.
Auf den Verfasser jedenfalls wirken diese Werke per se schon politisch. Wir
tun einen Blick in eine vergangene Wirklichkeit, die in
Raum und Zeit besonders positioniert ist --
zwar in der Nazi-Zeit, aber nicht im Nazi-Land.
Damit stellen sich sofort alle Fragen nach Mitschuld, Mitwisserschaft, Mitläufertum,
nach Opfer, Täter und Eindeutigkeit neu und andersartig: um klare Antworten
herumzukommen, fällt im Ausland leichter.
Der Wunsch nach eindeutigen Antworten ist verständlich, aber unangemessen. Es gab
SS-Offiziere die Juden retteten und Priester die Juden verrieten. Es gab alle Grau-
und Mischtöne, zu denen Menschen fähig sind.
Es gibt eindeutige Verbrechen und unbezweifelbare Täterschaft.
Dennoch gilt für alle Unterdrückungssysteme:
wenn die Wirklichkeit selbst stets
schwarz-weiß wäre, dann wären sie nicht so gefährlich.
Und diese Wirklichkeit ist immer noch die unsere: Auf den Fotografien, mehr noch auf den Gemälden, wirkt alles seltsam vertraut und fremd zugleich: Die Haltung der Mutter, ihre Distanziertheit, der Haarknoten, die klaren Linien der Vorhänge, der "zeitlose" Schnitt des schicken Anzugs ...
Waren das Nazis? Im Herzen, heimlich? Oder öffentlich? Oder vielleicht gar im
Widerstand? Immerhin war der erste wichtige Auftraggeber ein katholischer Orden
...
Wir wissen es nicht. Wir könnten wohl einiges herausbekommen. Aber, -- die ganze
Wahrheit wird man nie erfahren. Und zwar aus prinzipiellen Gründen. Dafür gibt es
kein Instrumentarium, keine Methode, keinen Königsweg.
Menschliches Wissen ist Stückwerk. Per se.
Die Blumenvase ist modernistisch, für die damalige Zeit, und gleichermaßen
verstaubt-modernistisch für uns. Diese Anmutung ist es, die uns schon
erschüttern sollte:
Die Nazis waren modern, -- Fraktur- und Deutsche Kurrentschrift (oft als "Sütterlin"
fehlbezeichnet) waren ihnen zuwider. Sie bauten Raketen und Fernsehsender.
Die Vase ist unschuldig. Sie steht auf den Schreibtischen Ohlendorfs
und Ossietzkys.
Wir blicken auf die Bilder und damit durch die Bilder und auf die Fotos und durch die
Fotos auf eine Wirklichkeit, die wir mental selbst konstruieren und die doch so
konkret ist. Damals, zu ihrer Zeit.
Was aber die Dinge bedeuten, das können wir nur vermuten.
Deshalb empfinden wir die erkenntnistheoretische Dimension der Rosenvase sehr ähnlich
zu Richters berühmtem Plattenspieler.
Deutlich und unzweifelhaft können wir bestenfalls wissen, was wir selber tun.
Hier und heute und jetzt.
Ohne Sepia und Grauschleier.
Denn was uns umgibt wird in kurzer Zeit schon ebenso verschleiert wirken
wie das schöne, moderne, der Zukunft zugewandte "junge Heim".
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