Anmerkungen zu meinen Orchesterwerken
, 22. Oktober 2003
1
Vorbemerkung
2
Historischer Kontext, soweit hier relevant
2.1
Entwicklung und Stand der Harmonik
2.1.1
Interlude : Tristan und die Folgen
2.2
Sonatenhauptsatzform
2.2.1
Zerfall ihrer tonalen Basis und --- dialektisch --- Stärkung der
behauptetenForm im Falle der Sonatenhauptsatzform
2.3
Müll und Maßnahme
2.4
Mögliche Motivationen zur Hervorbringung von Musik
3
Lösungsversuche des Verfassers
3.1
Forschungen zum Formproblem
3.1.1
Zur Architektur (/ Die Hyper-Sinfonie)
3.1.2
Die Sonatenhauptsatzform im Werk des Verfassers
3.1.3
Sonatenhauptsatzform und Fuge
3.1.4
Harmonische / tonale Disposition
3.2
Zur Satztechnik
3.2.1
Linearität und Akkordik
3.2.2
Gewand und Gehalt
3.2.3
Mehrspur-Technik und Klangliche Tiefenräume
3.3
Zur Programmatik
4
Schluß
Auch der Zöllner sei bedankt,
er hat es ihm abverlangt ...
Da aus aktuellem Anlaß um solche gebeten folgen hier einige
Anmerkungen zu meinen Orchesterwerken, also zu den drei (bis dato
unaufgeführten) Sinfonien op. 14, op. 15 und op. 16.
Der Verfasser bittet um Nachsicht, daß es ihm zur Vermittlung
substantieller (oder auch nur irgendwie weitergehend interessanter)
Aussagen über o.e. Werke unumgänglich scheint,
(1) zum einen den allgemeinen historischen Kontext und seine persönliche Sicht
auf diesen kurz anzureißen, und (2) auch auf einige andere seiner Werke
zu rekurrieren, besonders sein frühestes (im weiteren Sinne)
sinfonisches, die Erste Klaviersonate op 3.
Am deutlichsten sichtbar in einer hypothetischen (!, s.u.)
Entwicklungslinie beginnend bei
Franz Schubert, über
Richard Wagner bis Richard Strauß,
ist eine zunehmende Erweiterung
harmonischer Möglichkeiten: Aus ferneren Tonarten entlehnte, deshalb
"ahndungsvoll" Harmonisierungen, --- Modulationen in ungewohnte Richtungen
und unter "stark beugender" Ausdeutung der vermittelnden Funktionen
(Quint-Alterationen etc.), --- Rückungen in jede beliebige neue
Tonika, --- alle diese Maßnahmen schufen neue Möglichkeiten
dramaturgischen Effektes, psychologischer Ausdeutung und
--- absolut-musikalisch --- unerhörter Klangeffekte und neuartiger harmonischer
"Beziehungs-Klangfarbe".
In der Tat vollzog sich diese Entwicklung aber nicht hautpsächlich innerhalb
des Werkes
jener bekanntesten Protagonisten, sondern in der musikalischen Sprache
allgemein: Auch bei den meisten ihrer zeitgenössischen (und gar
vorangehenden!) sog. Kleinmeister der Kammermusik und Sinfonik, bei allen
Salon-, Operetten- und Schlagerkomponisten, --- ja, sogar im Bereich
des Militärmarsches ist in der zweiten Hälfte des 19. Jhrdts. ein
grundlegender, tendenziell gleichgerichteter
Paradigmenwechsel in der Behandlung der Harmonik erlebbar.
1
Die zunehmende "Aufweichung" der strengen historisch gegebenen Beschränkung von "erlaubter" Harmonik erhöhte zwar die "tonale Bewegungsfreiheit" und lokale emotionale Ausdrucksfähigkeit, schwächte aber zugleich zunehmend die architektonische Tragfähigkeit der Harmonik.
Warum der Tristan damals Schock und Skandal war, können wir vielleicht noch
intellektuell versuchen nachzuvollziehen. Wie er aber gewirkt haben
mag, können wir nicht mehr empfinden.
Dies wegen zweierlei:
Zum einen "nach vorne", denn auch die Tristan-Technik wurde bald Technik, und
wir kennen Wagnerskühnste Errungenschaften vielleicht schon längst aus der
Tonspur auch des billigsten Hollywood-Schinkens, --- nicht zu reden vom
weltumspannenden Einfluß dieses Werkes auf die ernsthaften Komponisten
aller Genres, welcher allemal Spuren hinterließ.
Zum einen "nach hinten", da wir heute viel genauer kennen, was die tonale
Revolution im Tristan vorbereitete, anregte, ja vorwegnahm:
Auch in Beethovens
letzten Quartetten, die Wagnersehr gut kannte, wird nicht nur
das tonale Material pulverisiert, sondern vielmehr teilweise
(Finale a-moll-Quartett/Df, Große Fuge/Rp/Hp)
die Tonalität selbst ad absurdum geführt.
Dennoch aber mag der Tristan allemal als pars pro toto gelten, und
Wagnerndie Ehre zufallen, das Paradigma manifestiert zu haben.
In unserem Zusammenhang aber ist entscheidend, daß gerade im Tristan,
welcher dem wenig vorbereiteten Hörer als ein chaotisches Maximum an chromatischer
Willkür und freier Beliebigkeit erscheinen mag, in der Tat eine höchst
genaue, sparsame und klassische Disposition der tonalen Zentren und deren
Beziehungen herrscht.
Gerade ja weil er un-erhörte Klänge in sinnvolle Kontexte stellen
wollte, rang Wagner
zuförderst um (neue?) Ordnungsprinzipien für diese
neuen Klangwelten.
Was in der Vordergrundgestalt glitzert, blinkt und duftet, ist im
Mittelgrund seiner
Ableitungslogik determiniert von kühl-klassischer und zutiefst
sparsamer Disposition.
2
Der Tristan bildet nämlich eine Welt, in der es zutiefst logisch, ja notwendig ist, über c-moll, f-moll und as-moll zu gehen, wenn man von a-moll nach H-Dur möchte. Die "Klangeffekte" in den Werken der Meister der früh- und spätromantischen harmonischen Neudefinition ("...Revolution") sind allemal Ergebnissedes initialen Ringens mit dem Formproblem, sind mit der sonstigen Mittelgrundsstruktur und -architektur aufs notwendigste verknüpft.
Im weiteren historischen Prozesse jedoch verselbstständigten sich bald
die so mühsam gewonnenen Vordergrund-Phänomene und wurden scheinbar
"frei verfügbar". Die formale Problematik als solche war, auch wegen
des geringen historischen Abstandes, nicht allen Nachfolgern
nachvollziehbar, und so schien allemal erlaubt, ja gar geboten zum Zwecke
wirtschaftlich zweckmäßiger Faszinierung des Publikums,
ähnliche Effekte zu produzieren und z.B. Mehrklänge immer weiter
anzureichern, "beliebige" Klangfolgen überraschend zu reihen
und letztlich
deshalb alle Funktionen und Tonarten als gleichberechtigt verknüpfbar zu betrachten.
Damit aber begann notwendigerweise ein deutlicher Verfall der
formtragenden Kräfte der Harmonik.
Als (allerdings über nachfolgende mehrfache Negationsstufen schrittweise vermittelte,
indirekte)
Konsequenz sehen wir heutzutage in der westlichen Welt
die paradoxe Situation einer (neben und trotz verschiedenen,
sehr unterschiedlichen Fusionsbestrebungen) zutiefst
gespaltenen musikalischen Produktionspraxis:
Einerseits kennen, hören und lieben wir in der sog. "Neuen Musik"
eine Verfeinerung, die ihr ästhetisches Ideal dann am reinsten verwirklicht,
wenn keinerlei tonal-funktionale
Mechanismen ihre stukturellen Konzepte mehr verunklaren, ---
andererseits und
gleichzeitig aber eine industrielle Massenproduktion, bei der
die Entwicklung ihrer harmonischen Fähigkeiten
offenhörlich vor Erreichen des Vorschulalters stehengeblieben
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ist.
Der Verlust der architektonischen Kraft von Tonart-Dispositionen wirkt
sich besonders stark aus im Bereich der formalen Probleme.
Ein zentrales Konzept, an dessen Abarbeitung die künstlerische Forschung
sich seit gut 300 Jahren bricht, ist das des
Sonaten-Haupt-Satzes oder auch der Sonatenhauptsatzform .
Die Sonatenhauptsatzform ("SHS-Form", "SH-Satz" etc. im folgenden) ist
eines der beiden stärksten formalen Standardmodelle, an dem der kompositorische
Geist die Behandlung entscheidender, grundlegender und viel primitiverer
Fragen des formalen Diskurses festmachen und dem allgemeinen
Vergleich zugänglich machen konnte.
Dem entspricht, daß der gesamte Fragenkomplex um die SHS-Form zerlegt
werden kann in so unterschiedliche Probleme wie
die Durchführungs-Motivations-Frage,
das Rückführungs-/Repriseneinsatz-Problem, das Seitensatz-Einrichtungs-Problem,
die Erweiterungen um Einleitung und Coda, etc.
In jedem dieser verschiedenen Problembezirke, denen jeweils
konkrete Orte im Ablauf des Werkes entsprechen,
kann der Komponist/die Komponistin die
allerpersönlichsten Lösungen auf aller-primärste Fragestellungen
quasi in einem gesellschaftlich/historisch reguliertem Raster veröffentlichen.
Man beachte, daß dieser "Katalog ästhetischer Hausaufgaben" tatsächlich
aus durchaus Primärem, ja, --- geradezu Atavistischem besteht:
Gegenstand der konkreten ästhetischen Forschung, und genau bezogen
auf konkret nachweisbare Abschnitte im "Fahrplan" des SHS sind solch
primär-psychischen Vorgänge, welche näherungsweise bezeichnet
werden können mit den Worten "Erschrecken", "Erwartung", "Enttäuschung" und
"Überraschung", --- weiterhin: Versprechen, Konflikt,
Widerspruch, Beweis, Einwilligung.
Dieses sind tatsächlich in jedem Fall die basischen
Materialen jeder Musik.
Im besten Falle kommen dazu: Vergessen, Entrückung und Erhebung.
Hinzu kommt noch der ganze Bereich von weiteren
mannigfaltigen ästhetischen Problemen, entstehend mit den
mancherlei Integrations- (oder Mißbrauchs)-versuchen
wie "Sonatensatz und Fuge", "SHS und Variation und Rondo",
"SHS und Scherzo", "SHS und Programmusik", "SHS und Oper".
Es beginnt nämlich bereits bei den Frühromantikern
wie Beethoven (wo er als solcher zu betrachten ist),
Liszt, Mendelssohn und (etwas später)
Schumann, daß zusätzliche formale, zumeist zyklische
Elemente der SHS-Form überlagert werden, zumeist in den Sinfonien,
aber auch in den Sonaten:
Von einfachen Rückgriffen des motivischen Materials, z.B. aus dem Finale
zurück in den Kopfsatz, bis hin zu den unterschiedlichsten
Lösungen des ewigen Aufgabenkomplex der Integration
von Sonatenhauptsatzform und Fuge.
Die Regeln der Sonatenhauptsatzform sind zutiefst determiniert von einer
doppelten Dialektik: Einerseits als historisch bestimmt,
mithin regiert von der "äußeren" Dialektik von Veröffentlichung, (Miß-/)Erfolg,
Rezeption, Rezension und Reaktion, --- Rezeption der Reaktionen und
Produktionen der Kollegen, Diskurs, Theorie, Selbst-Reaktion.
Noch tiefer aber von der
"inneren" Dialektik der allemal dynamischen Definition ihres satztechnischen
Verhaltens:
In den SHS-Sätzen Schuberts, z.B. , wird, bis auf die übliche notwendige tonale
"Einrichtung" des Seitensatzes, ein nahezu "wörtliches" Reprisenverhalten geübt.
Dies ist, wahrnehmungstechnisch gesehen, auch nötig, da (1) die vorangehende
Durchführung dermaßen weit in tonale und motivische Räume ausgreift,
und dabei (2) die Exposition (und damit auch die Reprise!),
besonders in Überleitungen und der Schlußgruppe,
schon weithin durchführungsähnliches Verhalten zeigt, daß jede andere
Definition von Reprise die Wahrnehmung (und Wirkung) der Gesamtarchitektur
stark verunklaren würde.
Im Gegensatz dazu hat Beethoven immer wieder auf's neue mit unterschiedlichsten
Definitionen von Reprise gearbeitet, --- der Reprisenbegriff war ein
ausgesprochener "Forschungsgegenstand" Beethovens.
Beiden jedoch ist z.B. gemein, daß die Betonung des Einsatzes der Reprise
der zentrale Zeitpunkt der Architektur ist, und daß, gerade um
diesen einen Zeitpunkt adäquat zu verstärken, die SHS-Form deshalb
deutlich und wirkmächtig sein muß.
Bei Bruckner finden sich beide Tendenzen: Zunächst ein äußerst
striktes formales Korsett für alle seine sinfonischen SH-Sätze
(so gilt immer und unwandelbar die Formel
Exp = [Hth, Ültg, SS, (monophone!) SchlGr, Epi]),
innerhalb dessen aber viele der Sätze originelle und
überzeugende Abweichungen suchen, allemal durch Kombination mit
weitergehenden formalen Konzepten. So entstehen z.B. die Fugierung der
SchlGr in VIII/4/Rp, die Retardation der Kontrapunktierung der beiden Fugenthemen
in V/4 bis in die Rp, die Scheinreprise und Reprisenverkürzung in IV/4,
die eingeschobenen Sequenzgruppen in IX/1, etc.
Bach, der in seinen konzertanten Werken aus einem "barocken"
Grundgestus heraus tatsächlich teilweise schon weit über die Vor-Klassik
hinausgreift, erforscht z.B. im ersten Satz des d-moll-Klavier-Konzertes
bereits durchaus die Mechanismen von "Scheinreprise".
In seiner wohl letzten Auseinandersetzung mit dem Sonatenhauptsatz,
dem Cp. VIII aus der KdF,
schimmert ein vollausgebildeter solcher als formale Idee und organisierendes Prinzip
hinter dem kontrapunktischen Satz deutlich durch. Auch hier
ist der dialektisch umschlagende Moment des Repriseneintrittes
auf's bewußteste gestaltet und auf's deutlichste markiert und auf's
konventionellste und regelgerechteste fortgesetzt.
Daß gerade dieser Zeitpunkt, der Repriseneinsatz, durch die ganze Historie und bis zuletzt von zentraler Bedeutung ist, zeigt sich z.B. in dem fast "zelebrierenden" Gestus seiner Gestaltung in Brahmsens III/1 und (nahezu kosmisch!) in IV/1, --- sowie bis in Straußens "Don Juan" etc., --- gar nicht zu reden von der Dur-moll-Rückung des Sext-Akkordes (sic!) in Beethovens IX/1, welche dem Verfasser, neben dem fisis im zweiten Kyrie der h-moll-Messe, wohl immer als der Gipfelpunkt der Musikgeschichte in Hinblick auf dramatische Wirkung gelten wird.
Wenn auch die konkrete Ausprägung der Gestalt eine jeden Sonatenhauptsatzes
jedesmal, wie behauptet, eine eigens definierte, und doppelt dynamisch
definierte ist, so beruhen die
Prinzipen der SHS-Form allemal jedoch auf tonalen Mechanismen.
Oben geschilderte zunehmende Schwächung der formbildenden Kraft simpler Funktionalität
führte dazu, daß bereits ab der Frühromantik, und zunehmend über die Spätromantik
und die Frei- und A-Tonalität bis hin zum (gar nicht so seltenen!) Auftreten
der SHS-Form in dodekaphonen Kontexten Ersatzmaßnahmengetroffen wurden, um die formalen Lösungen der
SHS-Form auch mit anderen als tonalen Mitteln zu stützen.
Am deutlichsten sind diese kompositorischen Maßnahmen nachweisbar
in den Architekturen des Komponisten, welcher den Verfasser in frühen
Jahren --- und auf solche gehen die Konzeptionen seiner
Sinfonien zurück --- am stärksten beeinflußte, im Werk Gustav Mahlers :
Schon in den Kopfsätzen von Erster und Zweiter Sinfonie ist trotz
rein diatonischer Setzung die funktionalharmonische Spannung nicht in
der Lage, die Reprise vollständig zu motivieren und zu verdeutlichen,
4
--- gerade als bewußter Gegenentwurf zum "Tristan" verbleiben beider Durchführungen
viel zu nahe bei der Tonika: Vor-Wagnersche funktionale Tonartdisposition wäre
nichts anderes als rückschrittlich gewesen, nach-Tristansche Durchchromatisierung
hätte dialektischerweise jedwede Durchführungs-Spannung ebenso neutralisiert.
Also bleiben nur satztechnische, motivische oder gar klangliche
Singularitätenzur Verdeutlichung der gemeinten Großstruktur, --- so z.B.
das tremolo-G zu Beginn von II/1/Exp und II/1/Df, der alterierte Klang
und die Celesta-Arpeggien in VI/4/Exp und VI/4/Rp, der Paukenrhythmus
zu Beginn von IV/2/Cd und, inhaltlich vielleicht am bedeutendsten, jene
Trompetenfanfare in I/1, welche in der Introduktion
als singuläres, nicht thematisches Ereignis auftritt, und gerade
durch die Unvermitteltheit ihrer Selbst-Zitierung im Repriseneinsatz
diesen verdeutlichen kann.
Gerade wegen der paradigmatischen Bedeutung dieses Motives auf der
Meta-Ebene, wegen seiner Kompositions-Programmatischen Funktion
als "vermittelnd durch Unvermitteltheit", wird es u.E.
in IX/1 aufs schmerzlichste verzerrt wiederum, ein letztes Mal zitiert,
--- bewußt auf Vermittlung verzichtend, aber diese als Utopie,
als Ersehntes um so stärker behauptend, das Lebenswerk rundend.
Weiter noch gehen das Finale von Mahler/VI und der Kopfsatz von VII:
In Fortsetzung Beethovenscher und Brucknerscher
Errungenschaft werden
die Reprisen im Vergleich zur Exposition fast völlig umgestaltet, ---
Themen vertauschen ihre Plätze, erscheinen in ganz anderem klanglichen
Gewand, Durchführungselemente wirken fort, etc.
Die "Kunst" besteht nun darin, daß trotz dieser dialektischen
Reaktion auf die durchstandene Durchführung die Reprise als Begriff
weiterhin konkret wirkmächtig und dem Hörer nachvollziehbar bleibt.
Dieses (äußerlich gesehen) "Umkrempeln" der Reprise,
diese kritische Auffassung ihrer Substanz, bedeutet,
wann immer es gelingt,
ihre Rettung / Auf-Hebung auf das Niveau des Konzeptes .
An diese beiden Phänomene und Prinzipien wollen meine Werke anknüpfen.
Zu allen Zeiten war es so, wenn auch durchaus in unterschiedlichem Maße,
daß das quantitative Verhältnis von produziertem Geräusch zu
kompositorischer Maßnahme einen recht großen Zahlenwert annimmt.
Dies gilt (1)
sowohl im Innern eines jeden Werkes, --- dort aber notwendigerweise, und mitnichten
zwangsläufig schädlich, --- aber auch, und zwar
ursächlich aus ersterem folgend und dieses voraussetzend,
(2) im Äußeren des gesellschaftlichen
Prozesses, und dort mit epochenweise doch recht unguten Folgen.
Zu (1) :
In allen Stilen und zu allen Zeiten gibt es "Techniken" oder "Formeln", welche
es erlauben, eine ganze Folge oder Menge von
Tonhöhenklassen und/oder
Klangereignissen zu generieren, ohne über den Einzelton überhaupt
nachdenken zu müssen !
Dies ist nicht nur legitim, sondern auch vielmehr notwendig: seitens des
Hörers/der Hörerin aus rezeptionspsychologischen Gegebenheiten, seites
der Komponistin/des Komponisten aus Gründen der produktionstechnischen
Ökonomie.
Stets also ist zu unterscheiden zwischen dem Klingenden und dem Komponierten,
wobei dieses sich als "erste Ableitung", als "Differential" auffassen läßt:
Kompositorische Maßnahmen sind häufig "nur" die punktuellen
Eingriffe in einen ansonsten seiner eigenen, konventionellen oder
mechanischen Entwicklung folgenden, "automatischen" Prozeß.
Einfaches Beispiel ist das für Bachs Werk konstitutive
drei-schrittige Sequenzmodell
5
Die Ereignisse (die klingenden Noten)
der beiden Wiederholungen sind
also solche nicht komponiert, --- komponiert sind vielmehr
"lediglich" (a) die Entscheidung, daß überhaupt hier
sequenziert wird, (b) evtl. wenige punktuelle Maßnahmen
bei der ersten Wiederholung, welche Konsequenzen aus den
veränderten Intervallverhältnisse ziehen, und (c) die Eingriffe in die
letzte Wiederholung, die sowohl den Sequenzierungsvorgang begründet
stoppen müssen, als auch organisch in die weitere Entwicklung überleiten.
Noch einfacher ist das Beispiel ostinat wiederholter Motive oder
Akkordbrechungen, sowohl in solistischen wie auch orchestralen Sätzen
aller Epochen: Hunderte von kurzen kleinen Noten schreiben sich
da gleichsam "von selbst", --- komponiert sind hingegen
z.B. das Austauschen einzelner Tonhöhen oder -klassen, also
die hinter dem Vordergrund verborgene Führung von virtuellen Stimmen,
die in viel längeren Notenwerten harmonisch oder kontrapunktisch
bestimmt voranschreiten.
Zu (2):
Allen großen Meisterinnen und Meistern wahrscheinlich
aller Stile und Genres und Kulturen ist aber gemein, daß sie
(a) entweder von Zeit zu Zeit die angewandten Standard-Satzmuster neu hinterfragen,
wesentlich neu adaptieren oder in einem bestimmten ästhetischen Zusammenhang
aus ganz anderer Notwendigkeit ein derartiges Standardmuster gleichsam
"neu erfinden", d.h. aus der lokalen Logik des Werkes hervorgehen lassen, ---
des Werkes,
das seinerseits ja nur ein Modell der globalen, generischen, allgemein
und ewig gültigen Logik sein will.
Zumindest aber werden (b) in einem Werkkontext
auftretenden Standard-Verfahren stets nur
ausgewählt und zugelassen,
wenn eine weitergehende musikalische Logik dies verlangt.
Diese kritische Grundhaltung gilt genau so auch im Material selbst:
So sind z.B. die "wirklich großen Meister", und das sind z.B.
Haydn, Mozart, Beethoven, --- und zwar ausschließlich
"die ihrer besseren Werke" --- gar nicht in der Lage,
einen zwei- oder viertaktigen Themenkopf hinzuschreiben, ohne daß dieser
kurze musikalische Ablauf schon in sich eine ganze Abhandlung,
eine Erforschung, ein Ricercar wäre über die grundlegendsten musikalischen
Kräfteverhältnisse.
Ergo ist aber auch jede "lediglich leicht uminstrumentierte" Wiederholung
eines solchen Gedankens
schon ein Eingriff in ein so komplexes Gebilde, daß jene leichte Umarbeitung
wohl schon eine neue Interpretation bedeutet.
In der breiteren Produktion jedoch fehlt zumeist dieses kritische Bewußtsein.
Schematische Anwendung von satztechnischen Prinzipien, egal welchen
Stiles auch immer, sind ja durchaus bereits geeignet, auf ökonomischste
Weise gesellschaftliche sinnvolle, zumindest zweckmäßige
Produkte hervorzubringen, --- nicht hingegen sind sie geeignet
letztlich existentielle Fragen
zu lösen, resp. wenigstens konkret nachvollziehbar aufzuwerfen.
Konsequenz dieses Faktes ist eine große Menge irrelevanter, ja seelische schädlicher
Hervorbringnisse, mit denen das mit edelste Vermögen des Menschen,
die musikalische Apperzeption, heute zunehmend
verbildet und verkrüppelt zu werden droht, wenn nicht
Pädagogik und Erwachsenen-Didaktik massiv gegensteuern.
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Der Verfasser hatte persönlich nie das Glück (oder Unglück ?), einen
Kompositionsunterricht zu genießen, in welchem Stile auch immer, der
auf o.e. Art irgendwelche "Rezepte" lehrte.
Egal ob ein Kurs im "Palestrina-Stil" bei dem einen Lehrer
oder die Komposition "Neuer Musik" bei dem anderen,
gelehrt wurde allemal, daß jede einzelne kompositorische Setzung
sich jederzeit vielseitig begründen muß.
Diese Begründung muß eine doppelte sein: Zum einen
innerhalb des Werkes, als den Grundregeln der Natur
lediglich nachspürendes Erforschen, --- aber auch in der äußeren
Welt der gesellschaftlichen
Mitteilung: Gesagt werden sollte nur, was zu sagen lohnt.
Somit ist zentral für jede kompositorische Äußerung die
Beantwortung dieser einen Frage, der Frage nach ihrer Notwendigkeit,
--- zumindest nach hinreichender Motivation.
Für diese gibt es grundsätzlich die verschiedensten und allemal
zunächst ethisch gleichberechtigten Quellen.
Deren wichtigsten können mit den Stichworten benannt werden...
Ersteres Stichwort, "Gebrauch", soll bezeichnen, daß es keinesfalls
a priori verwerflich ist, Musik zu erstellen, welche konkreten
Zwecken dient, wie Tanz, Unterhaltung, Erbauung etc.
"Beruf" bedeutet, daß ein Mensch, welcher nunmal das Handwerk des Komponierens
erlernte (und evtl. nichts anderes) sich auch mit diesem muß ernähren
können dürfen, --- so derartiges überhaupt gesellschaftlich gewollt ist.
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"Forschung" hingegen soll bezeichnen, daß jedes kompositorische Tun
ein exakt nachvollziehbares systematisches Aufweisen von musik- oder
ästhetik-historischen Beziehungen
und/oder physiologischen Rezeptionsmechanismen ist, wobei erstere als
"Einfrierungen", Kondensierungen oder Chiffren für letztere aufzufassen sind.
"Programm" zuletzt bezeichnet den Fakt, daß Musik trans-musikalische Gehalte
transportieren kann, --- wahrscheinlich allemal transportiert ---, und daß
der bewußte Umgang mit dieser Möglichkeit dem Schaffenden allemal
politische und gesellschaftliche Verantwortung aufbürdet.
Wir gehen allerdings davon aus, daß "Ästhetik" nicht nur den
Bereich des "Kunst-Schönen" bezeichnet, sondern stets per seeingebettet ist in den Gesamtbereich menschlicher Wahrnehmung und Selbstdefinition.
Also ist "ästhetisches Tun" stets auch "praktische, angewandte Erkenntnistheorie".
Damit sind aber die letzten beiden oben genannten Bereiche u.E. untrennbar
verknüpft: Beethovens vielfältige Forschungen zum Thema der
musikalischen Wahrnehmungs-Täuschungen, --- z.B.
die schmerzhaft-falsche C-Dur Scheinreprise im ersten Satz des B-Dur Quartettes,
die Rückung A-Dur/F-Dur bei der Expositionswiederholung im Finale des F-Dur
Quartettes, die metrischen Verschiebungen und das wie das Kaninchen aus
dem Zylinder gezauberte "zusätzliche" Viertel im Marsch des a-moll-Quartettes,
etc. ---
sind immer auch Forschungen zur Manipulierbarkeit
menschlichen Denkens schlechthin , und damit zutiefst politischeAussage und emanzipatorisches Programm.
So kann die Situation beschrieben werden, in die der Verfasser
meint seine eigenen Produktionen stellen zu müssen.
Um mit dem zuletzt aufgestelltem Aspekt zu beginnen:
als ethisch legitime Motivation scheinen mittlerweile nur zu bleiben
die produktive Forschung und das humanitäre Programm. Nur sie
können noch gegenhalten der Tatsache, daß es
eigentlich es genügend gute Musik gibt, als daß man sie noch unbedingt vermehren
müßte, zumal vieles Gute in der Flut des Mülles --- egal welchen Stiles ---
ebenso zu versinken vermag wie in der Menge des anderen Guten.
Ästhetische Forschung nun versucht der Verfasser geordnet nach durchaus traditioneller Begrifflichkeit, nämlich am Formproblem und an der Satztechnik.
Das Hauptthema der allerersten Takte der
ersten Sinfonie war der allererste Einfall für die gesamte Werkgruppe, und
jahrelang nagende Verpflichtung, --- dieser erste Einfall stand von Anfang an
als erster Anfang fest: Wenn ich jemals Sinfonien schreiben würde, dann
würden sie sobeginnen, --- mit der fallenden Oktave,
aus Trotz gegen Adornound alle Schulregeln der Nach-Darmstädter
Moderne, die dieses Intervall als Symbol bürgerlicher Hohlheit gleichsam zur Fäkalie
deklarierten.
Dieses stand fest, da mag ich siebzehn gewesen sein und kurz darauf mit der
ersten Klaviersonate begonnen haben.
Auch das dies eine "normale", also viersätzige Sinfonie mit der "normalen" Satzfolge werden sollte, stand immer schon fest.
Eine solche zu komponieren aber erwies sich aber zunächst als
unlösbar:
Auch wenn man über das Problem der praktischen Umsetzung und die konkreten
"Produktionsbedingungen" (wovon soll man leben während der notwendigen Arbeitszeit?)
konsequent hinwegsah, --- was der Verfasser in damalig jugendlichem
Übermut konsequent konnte, --- ergaben sich schon rein absolut-musikalisch,
inhaltlich unüberwindliche Schwierigkeiten:
Der Verfasser war, im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts,
in einer noch viel übleren Situation als seinerzeit der arme
Brahms : Man sieht nach hinten gar nichts mehr, denn da steh'n
nicht nur Riesen, und Riesen auf den Schultern von Riesen,
sondern auch Riesen auf den Schultern von Riesen auf den Schultern von ...(ad.lib.).
Er mußte also nach den Atonalikern, die nach den Spätromantikern, die nachden Frühromantikern, die nachder Wiener Klassik, die nach der Vorklassik stets neue Ideen zur sinfonischen Form entwickelt hatten, ein wiederum neues, bisher unprobiertes Konzept für die Form einer Sinfonie finden.
Dies schien unlösbar, und die Idee blieb nagende Verpflichtung.
Dann, über fünfzehn Jahre später, nächtens durch den Steeler Stadtgarten streifend erschien auf einmal das "Und vergib uns unsere Schuld", --- und kurz darauf das "Mein Gott, mein Gott!", --- und etwas später, in einem der schlimmsten, verzweifeltsten Momente meines Lebens, erhob sich plötzlich das Fugenthema des "Ehre sei dem Vater..." ...
Plötzlich war klar, daß die ZweiteSinfonie die Vertonung der "Acht letzten Worte" sein werde, und daß das Formproblem der einzelnen Sinfonie (wie das der geplanten Ersten) sich lösen läßt durch das Konzept einer Hyper-Sinfonie, also durch die Komposition einer Werk-Gruppe, welche zugleich drei verschiedene Werke definiert, die eine jeweils andere Lösung des Problems der Groß-Form realisieren, und die sich gegenseitig kommentieren, bereichern und relativieren.
Dies war vielleicht ein "feiges Ausweichen" vor dem Formproblem als solchem, aber durchaus begründbar durch die historische Entwicklung: desselben "Tricks" bediente sich ja Beethoven, um nach der Hammerklaviersonate noch eine noch größere Sonate schreiben zu können, nämlich die aus den drei Sonaten op. 109 bis op. 111 bestehende "Hyper-Sonate".
Jedenfalls klärte sich das Formproblem der "Ersten" und lösten sich alle Hemmungen und Bedenken schlagartig durch die Existenz einer Formplanung für die "Zweite", --- und in der Tat wurde die Partitur der Zweiten vor der Ersten auch vollendet. 8
Zugleich aber implizierte dieses Konzept, daß eine DritteSinfonie
das Hyper-Werk komplettieren mußte.
Diese wurde parallel zur Arbeit an den ersten beiden geplant, und
nach deren Vollendung unverzüglich angegangen.
Eine Unterbrechung der Arbeit hätte wohl niemals eine Wiederaufnahme möglich gemacht.
Allerdings fühlte sich der Verfasser (offensichtlich unzutreffenderweise)
da bereits durchaus am Ende seiner Kräfte und fluchte
nicht wenig über diesem Sch@@@-Beruf.
Die sich ergebende Gesamtarchitektur kann durch folgende Graphik
veranschaulicht werden:
Alle drei Werke sind --- natürlicherweise --- durch gemeinsames motivisches Material verbunden:
Die Erste Sinfonie ist, wie von Beginn an geplant, bewußt "konventionell viersätzig" : Die Ecksätze, als SHS ausgeführt (s.u.), umrahmen einen gesanglichen und einen tänzerischen Satz, beide zu jenen kontrastierend ausdrücklich monothematisch angelegt. Allerdings gibt es zwischen allen vier Sätzen "unterirdische Kanäle", also Beziehungen im motivischen Material.
Die Form der zweiten Sinfonie (als eines Oratorium-Werkes) resultiert aus einem dialektischen Umgang mit der Textvorlage (s.u.). Ihre innere Zweiteiligkeit konstituiert allerdings eine wichtige Schief-Symmetrie im Gesamtwerk:
4 + (3+4) + 3 |
Während diese beiden Werke aus innererNotwendigkeit hervorgingen, entstand die DritteSinfonie aus der äußerenNotwendigkeit der formalen Gesamtdisposition.
Der Verfasser ging also auf die Suche nach Motiven und Themen in seinen
uralten Skizzenblöcken:
Die Themen für III/2/1, 2 und 3 lagen jahrelang unbeachtet
als kurze Notizen auf einem großen
"to do"-Haufen, und erst mein erzwungener Auszug aus der Steeler Wohnung
veranlaßte mich, diese netten Ideen doch mal irgendwo zu verwenden, um sie
vor dem drohenden Untergang zu retten.
Da kam die Aufgabe der Dritten Sinfonie gerade recht.
Das Einleitungsthema von III/1 hingegen war recht "frisch" und im Zuge einer
Klavierimprovisation entstanden.
Der Allegro-Marsch aus III/1 wiederum war ein uralter separater Einfall
aus der Jugendzeit, kurz nach Vollendung der Ersten Klaviersonate:
Auf dem Fahrrad am Baldeneysee, --- als ich schon fest überzeugt war, ich sei
nun zu alt (knapp 18 !-) und mir würde nie wieder ein
vernünftiges Thema einfallen ;-)
Die Disposition der dritten Sinfonie kann als typisches Beispiel für dialektische Entscheidungsfindung dienen:
Dies wurde dadurch gelöst, daß zum Orchester nun nicht mehr Gesangsstimmen, sondern (gleichsam als deren Überhöhung ins Absolut-Musikalische) zwei getrennt aufzustellende kammermusikalischeEnsembles treten: Bläserquintett und Streichquartett, --- unter Beibehaltung des Fernorchesters.
Auch bezgl. des Formproblemsergaben sich die Randbedingungen aus den Eigenschaften der vorangehenden Werke:
Die einzig möglich scheinende Lösung ist ihrerseits dialektisch:
Einerseits, definiert durch
Satzbenennung und klingende Pausen, ist Sinfonie III gegenüber Sinfonie I
"nur" drei-sätzig.
Andererseits stellt der mittlere Satz gleichsam "drei Sätze in einem" dar:
Zunächst drei unabhängige "Sätze": attaca, aber deutlich
getrennt zunächst vorgetragen von Bläserquintett, Orchester und Streichquartett,
--- dann in zwei weiteren "Formteilen" zunehmend kontrapunktiert.
Ein munteres Zusammenspiel der Zahlen Drei und Fünf ergibt sich folglich für die Gesamtzählung der Sätze, spiegelt sich aber auch wieder im Binnenverhältnis des ("Drei in Einem"-) Zentralsatzes:
III/1 |
|
III/2 |
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|
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|
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III/3 |
1 |
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2 |
|
|
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|
|
3 |
1 |
|
2 | 3 | 4 |
|
|
|
5 |
|
|
|
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Th A |
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Th B | Th B |
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Th C | Th C | Th C |
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So ergibt sich zum einen, daß die Dritte, wie die Erste wiederum traditionell instrumentale und "absolute" Musik, durch die extensive Verwendung der Zahlen Drei und Fünf ein schief-symmetrisches Gegengewicht zu der klassischen Vier der Ersten darstellt.
Zum anderen ergeben sich für die Gesamtzahl der Sätze des dreiteiligen Hyper-Werkes zweigleichberechtigt lesbare Formeln:
4 + 7 + 3 = 14 oder 4 + 7 + 5 = 16 |
...womit in der einen Interpretation demütig hinter Meister Mahlerzurückgeblieben, in der anderen aber --- er übertroffen wird.
Grundlage aller gestalterischen Maßnahmen in den Jahren der Planung der Sinfonien (und der Komposition der Ersten Klaviersonate) waren zwei mit jugendlicher Apodiktheit vertretene Überzeugungen:
Eher in der Gestaltung des Vordergrundes wirkten sich aus die Anknüpfungen an die o.e. zentralen historischen Phänomene, die bei dem Auflösungs- und Aufhebungsprozeß der SHS-Form im Laufe der Spätromantik auftraten: An die Signal-Singularität, die Genre-Integration und die Reprisen-Redefinition. 9
Das Duolen-/Triolen-Achtel-Motiv, welches in I/1 das erste Thema fortsetzt, das kleine pizzicato-Kadenz-Motiv, welches das zweite Thema kontrapunktiert, und das kadenzierende Kontrabaß-Motiv als Fortsetzung des allerersten Auftretens des Ersten Themas in III/1 sind gewollte Singularitäten, erfüllen im weiteren bewußt keinerlei thematische Funktion, sondern haben allein eine Signalfunktion, nämlich durch ihr Wiederauftreten später in der Reprise deren Beginn als solchen dem Hörer zusätzlich zu verdeutlichen.
Die Redefinition der Reprisenregeln selbst scheint dem Verfasser selbst am deutlichsten gelungen in seiner Ersten Klaviersonate (op. 3): In deren Reprise wird
Alle diese Maßnahmen sind selbstverständlich nur sinnvoll als Konsequenzen
eines übergeordneten Planes oder Konzeptes, welches Material- und
Wertungs(sic!)-Prozesse zum Inhalt hat.
Genauer noch: diese Maßnahmen reflektieren in einer (recht vordergrunds-nahen)
Mittelgrundschicht die notwendigen Konsequenzen und Kompromisse des
Versuches der Vereinbarung jenes übergeordneten Planes
mit der historischen Form (oder den "ewigen Prinzipien") des SHSes.
Dieses übergreifende (Material-)Konzept
stützt dialektischerweise auch die Wahrnehmbarkeit und
Bedeutungsträchtigkeit der SHS-Form: Der Notentext der Reprise ist nun völlig
verwürfelt und bar fast jeder äußeren Identität, gar jeder Isomorphie
zur Exposition, --- dennoch aber eindeutig
als solche gemeint und wirkmächtig, da die nun neu kombinierten Parameterstrukturen
als neue Entwicklungsphasen des Selben Gemeinten erkannt werden (sollen ;-).
Ähnliche Verwürfelungen weisen auch alle Reprisen der hier zu behandelnden Orchesterwerke auf.
Ausdrücklich als SH-Sätze angelegt sind in den Sinfonien die Sätze
Doch auch in den kleineren, mono-thematischen Sätzen (I/2, I/3, II/2, II/4, III/2/1) und in der Gestaltung größerer, eher flächiger Zusammenhänge wie in II/1 und II/6 spielt das SHS-Prinzip durchaus eine wichtige Rolle in der formalen Gliederung.
Wie gehen nun die "eigentlichen" SH-Sätze um mit dem zentralen Problem der Definition von Reprisenverhalten ?
In I/1 ist das "Hauptthema", trotz seiner auftrumpfenden Orchestrierung
gleich zu Beginn, tatsächlich nur ein drei-taktiges Motiv.
Der "Seitensatz" hingegen ist eine breitgespannte Melodie.
Ersteres wird zu Beginn zweimal mit expositionärer Emphase aufgestellt, ---
der Seitensatz darf mehrfach erklingen, in zunehmender imitatorischer Fülle,
aber damit schon in die Durchführung überleitend.
Die Reprise erscheint, nach einer überlangen Durchführung, nun
auf das äußerste verknappt:
Zunächst kehrt sie o.e. überleitendes Verhalten des Expositionsschlusses fast
spiegelsymmetrisch um: Eine (wie eine Schein-Reprise beginnende) Durchführung
des reinen Rhythmus des Hauptthemas und seines Haupt-Intervalls, der
Oktave (auf den dieses "Thema" nun als reduzibel behauptet wird), kann
entweder als Rückführung oder schon als Beginn der (leicht durchführenden) Reprise
aufgefasst werden.
11
Dann folgt eindeutiges Reprisenverhalten
(oder doch "Durchführungshöhepunkts-Verhalten" ?)
durch eine auf
16 Takte aufgeblähte Version dieser einen einzigen fallenden Oktave.
Deren Fortsetzung folgt zunächst für drei Töne der Hauptthema-Diastematik,
wird aber sofort gewaltsam umgebogen in eine
ff-Version des seit allzu langem nicht mehr in seiner originalen Gestalt
erklungenen Seitensatzes. Dieser Seitensatz-Einsatz mit seinem
einzigen einmaligen und einfachen Ablauf (allerdings im vollen ff, und
doppelt kontrapunktiert) beschließt die Reprise, schon ehe sie richtig
begonnen.
Das Finale I/4 scheint dies umzukehren:
Die Hauptthemengruppe enthält zwar deutlich erkennbares motivischesMaterial, allerdings kein identifizierbares "Thema" im engeren Sinne.
Der Seitensatz besteht in sich komplizierenden Variationen über das
in allen drei Sinfonien auftauchende Choralthema "O Heiland
reiß die Himmel auf". Dessen Entwicklung leitet über
in die durchgehend fugierte
Durchführung, welche nun endlich ein "nachgeholtes (also disloziertes) Hauptthema"
exponiert. Dieses ist ein prägnantes, auch nur dreitaktiges Motiv, und kann
u.a. deshalb als "Umfaltung" des allerersten Hauptthemas des ersten Satzes
aufgefaßt werden.
Genau dieses Thema erscheint auch prompt, "zitiert" als Kontrasubjekt zum
Fugenthema, genau im Mittelpunkt der Durchführung und damit des ganzen Satzes.
Die Reprise nun wertet endlich die einleitenden Motive der Exposition
zum Thema auf, und zwar --- dialektischerweise ---
indem diese als Kontrasubjekt zum Durchführungsthema
gesetzt werden, welches somit als eigentliches Hauptthema ("in der
Exposition halt disloziert") gewertet scheint.
Zu II/3 sei nur gesagt, daß dieser Satz eine (schwache Form von) "Trinitarischer Tripelfuge" 12 darstellt (ähnlich wie auch II/7), und diese mit dem Gedanken der SHS-Form kombiniert.
In ihrer Eigenschaft als letzte Ecksätze runden
III/1 und III/3 die Erforschung des Thema "SHS-Form"
natürlich noch einmal grundlegend ab:
Das Material von III/1ist zunächst ein "quasi largo" vorgetragenes
"wie-ein-Naturton"-Thema. Dieses Hauptthema
wird auto-enggeführt und gesteigert und
so als Einleitung deklariert zu einem Allegro-Marsch, welcher,
wenn man so hören will,
ein Thema aus drei motivischen Gruppen darstellt.
Die breite, dreiteilige Durchführung beschäftigt sich hautpsächlich mit
der gegenseitigen
Kontrapunktierung und somit Ausdeutung dieser beiden Themen, so daß
für die Reprise weitere Maßnahmen not tun.
Diese können aber nur bestehen in stärkster Verknappung,
Separierung und innerer Reinigung der auftretenden Themengruppen.
So taucht nun zuerst das Allegro-Thema (mit der Funktion deutlicher
Reprisenmarkierung)
in knapp fugiertem Satz ohne seine dritte Motivgruppe auf, gefolgt
vom dreimaligen einfachen Auftreten des Einleitungsthemas, so daß
die kurze Reprise auch als gespiegelter Rücklauf der Exposition gehört werden
kann, --- mit ihrem lapidaren Dur-Schluß
mehr Fragen offenlassend als beantwortend.
Die kontrapunktische Disposition in III/3 invertiert die
normale Kurve der Dramaturgie der SHS-Form:
Es gibt ein Einleitungs-, ein Haupt- und ein Choralthema.
Das ETh wird in der Einleitung des Satzes bereits exponiert, durchgeführt und
reprisiert. Das Haupt- und das Choralthema werden dann exponiert,
aber allein letzteres (was zunächst wohl als einmalig markierende
Schlußgruppe gehört worden ist) bildet das ausschließliche Material für den
"Durchführung" genannten Formteil.
Erst die Rückführung bringt einmalig eine Kombination von HTh und ChTh,
und die Reprise dann mehrmalig die Kombination von HTh und ETh.
Besonders diese erste Kombination realisiert das Stilprinzip der Metalepsis,
welches allen Bach'schen mehrthematischen Fugen unterliegt:
Zwei oder mehr Themen werden erst getrennt exponiert und durchgeführt,
um dann im Nachhinein der Hörer als kontrapunktischer Verband
aufgedeckt und somit erst verständlich zu werden.
Neben einer deutlichen motivischen Entsprechung (das zweite Th = Hth von III/3
ist eine Verschärfung, ein konsequentes enharmonisches Weiterdenken
des zweiten Th aus I/1)
verklammert dieses Prinzip die Finalsätze I/4 und III/3: Auch dort
verschwinden zunächst die Themen aus der Exp, und zwar sogar vollständig,
während die Df mit einem völlig eigenen Thema (und einer Wiederaufnahme
von I/1/HTh ab der symmetrischen Mitte) auskommt.
Erst in der Df wird dieses neue DfTh mit dem initialen HTh kombiniert
und einsichtig.
Vorbild dieses Verfahrens war natürlich Bruckners V/4/Rp, --- hier
aber scheint die Anwendung noch eine Stufe konsequenter.
Im allerletzten Satz, also in III/3, erfährt zum Ausgleich für diese Abwertungen des
thematischen Gehaltes der vorangehenden
Formteile (besonders der Df) die Coda nun eine diese mehr als aufwiegende
Aufwertung, --- was ja einer zum Ende hin drängenden Steigerungstendenz
gut entspricht:
Nicht nur kombiniert diese allerletzte Coda
zum ersten Mal alle drei Themen des letzten Satzes,
sondern sie greift auch zurück
auf weitere neun Themen oder Hauptmotive aus verschiedenen Sätzen
derselben und der beiden vorangegangenen Sinfonien.
Die Coda von III/3 bildet in dieser Hinsicht also eine (allerdings
ungemein stark dislozierte!) "Hyper-Durchführung" der "Hyper-Sinfonie",
--- siehe die Graphik im Vorwort zur Partitur von III.
Diese letzte Coda
wird dann äußerst lapidar beendet durch die wenigen Tönen einer "Hyper-Coda"
(oder gar "Micro-Hyper-Reprise" ?),
die das allererste Intervall der Sinfonie III und das allererste Anfangsintervall
der Werkgruppe überhaupt, die Oktave vom Anfang der Sinfonie I,
einmalig in simultaner Kombination erklingen läßt, --- als eine allerletzte Frage.
Ein zentrales Thema der praktischen kompositiorischen Forschung war, seit
der "Wiener Klassik", die Integration von Fuge
und SHS-Form.
In der Tat ist das früheste mir bekannte Beispiel zur Lösung
dieses formalen Problems, und zugleich eines
der substantiell schwerwiegendsten, jedoch bereits
der Cp VIII aus der "Kunst der Fuge".
Danach wird diese formale Aufgabenstellung
weiterhin paradigmatisch bearbeitet im letzten Satz der
"Jupiter"-Sinfonie
Mozarts,
in den gewichtigsten der Beethovenschen Klaviersonaten
(op. 106/1 und 4, op. 109/4, op.110/4, op. 111/1) und in seiner Neunten Sinfonie,
--- und wird dann in der Romantik in all ihren Phasen ein durchgehender Topos
(BrucknerV, MendelssohnOrgelsonaten, BrucknerV/4, VIII/4,
Wagner, Ms/II/Schluß "Prügelszene", Gd/Vs/"Siegfrieds Rheinfahrt",
MahlerV/3, V/5, VI/4, VIII/1 etc.)
Dies entspringt einer interessanten historischen Dialektik: Der sogenannte "freie Satz" wurde nämlich wegen seiner Bindung an die "Periodizität" seiner Themengestalten letztlich unfreierals die (z.B. in den Bachschen Orgelfugen immer vor Ohren stehenden) Paradigmen des "strengen" Satzes, welcher ja jede Kadenz durch überlappende Stimmführung entwertet und keine Probleme hat weder mit dem munteren Wechsel von "in ritmo di tre ..." mit "...de quattro battute", noch sogar mit deren gleichzeitiger Überlagerung.
Das besonders vom späten Beethovenangestrebte Erforschen der Logik der Motivbildung auf der Mikro-Ebene des musikalischen Materials, die angestrebte Atomisierung der musikalischen Problematik, war allemal in einem solchen, "fugierten" satztechnischen Kontext wesentlich natürlicher zu realisieren als in den immer noch streng gerasterten Auflösungsflächen der Durchführungs-Topoi des "freien" Satzes.
In diesem kompositorischen Forschungsbereich ergeben sich natürlicherweise zwei Gruppen von Lösungen: Zum einen können fugierte Sätze inverschiedene Teile des Großrasters der SHS-Form eingebettetwerden, --- zum anderen einem durchgehendenfugierten Satz das SHS-Raster überlagert.
Prototyp für Fall eins ist das Finale der Jupiter-Sinfonie von Mozart, für Fall zwei der CP VIII aus der KdF von Bach.
Der Verfasser hat beide Fälle in seinen beiden Klaviersonaten systematisch abgehandelt.
In den Sinfonien folgen dem ersten Typ die
Sätze I/1 und I/4, II/1, II/2 und II/5, III/1 und III/3, --- also besonders
die Ecksätze der Eckwerke.
Dem zweiten Typ folgen die Sätze I/2, I/3, II/3, II/4, II/6, II/7 und III/2.
(Ganz ohne Fuge kommt also keiner aus ;-)
Wie aber kann eine (mäßig) avancierte Klanglichkeit, die durchaus
versucht, die Erfahrungen tonaler Erweiterungen zum Zwecke des
emotionalen Ausdruckes
zu nutzen, jenem oben breit erörterten Verlust der
funktionalen Harmonik an architektonischer Kraft entgegenwirken ?
Die hier gewählte Möglichkeit
13
besteht darin, tonale Beziehungen als Intervalldispositionen
aufzufassen.
Diese Intervallkonzepte schneiden sich dann in Vordergrundstrukturen,
welche durchaus als "D7" oder "s56" aufgefaßt werden können (und sollen),
die ihre Konsistenz aber aus a-funktionalenMittelgrundstrukturen schöpfen.
Dies ist durchaus ein aus der Analyse der Gipfelwerke ableitbares Vorgehen:
So finden sich z.B. bei Bach in der "Kunst der Fuge"
allerorten
nicht-funktionale Intervallstrukturen, eingebettet in die
(uns Heutigen als solche erscheinende!) funktional-harmonische Faktur.
Diese tragen stets deutlich architektonische Funktion, --- so z.B. die
von Zacher so genannten "Terz-Knoten" als Groß-Sekund-Klänge,
weiterhin
Quint-, Quart- und Oktavschichtungen, die (scheinbar etwas "normaleren")
Großterz- und Kleinterz-Klänge an den Peripetie-Stellen von Cp. IV und IX, bis hin
gar zu Klein-Sekund-"Clustern" (sic!).
In diesem Sinne kann als wichtigste Leistung des Satzes III/1 die Stelle des Durchführungsbeginnes angesehen werden, an welcher der erste Ton des wiederaufgenommene Hauptthemas zum letzten Ton der Schlußgruppe im Verhältnis der fallenden übermäßigen Terz (dis-b) steht, und wo dieses hyper-funktionale Intervall aufs eindeutigste begründet und damit für den Hörer nachvollziehbar aus der tonalen Gesamtdisposition abgeleitet wird.
Oben geschilderte Ausbildung zur kritischen Reflexion hat u.a. den
(vielleicht nicht allemal wünschenswerten) Effekt, daß dem Verfasser
jegliches reine Verwenden vorgefundener historischer Strukturen
schier unmöglich scheint. So besteht z.B. durchaus ein gewisses Problem
darin, Wiederholungen überhaupt schreiben
zu können, sei es taktweise auf der Ebene des Motives oder auf den
Ebenen formaler Disposition.
Aus gleichem Grunde meint der Verfasser die Stellen an einer Hand abzählen zu
können, an denen er jemals überhaupt einen
Akkord als eigenständige Gestalt hat setzen können.
So erklingt im Lied "Die Füchsin" aus
op. 6 an der Textstelle "Weil der Schnee tief ist"
(deren Diastematik im übrigen, genau wie der Schluß des Satzes,
das Hautpthema von Bruckners IX/1 zitiert)
zwar in der Klavierbegleitung ein "tiefer" drei-töniger Akkord,
unvermittelt als solcher gesetzt. Dieser aber ist (a) Zitateines
diachronen Schnittes durch den Satz von "Des pas sur la neige" von
Debussy, und wird (b) im folgenden durch eine typische Vermittelung
a posterioriaus der linearen Sequenzlogik begründet.
Hingegen ist es der fast ausschließliche Normalfall, daß sämtliche erklingenden
akkordischen Gebilde aus einer linearen Struktur und damit aus
mehrstimmig-kontrapunktischer Setzung abgeleitet werden
müssen, --- so z.B. die Akkorde der Steigerung zum Allegro am Beginn von
III/1 als "Pedalisierungen" der Tonhöhen der sequenzierten
Motive.
Programmatisch negieren wir so allemal die beliebige Verfügbarkeit der historisch vorgefundenen Techniken, und behaupten vielmehr die stete Notwendigkeit ihrer Re-Invention aus den inneren Gesetzmäßigkeiten der naturgegebenen Rezeptionsmechanismen.
Rein kulinarisch jedoch hat diese Haltung auch durchaus ihre Vorteile: Jeder Mehrklang als solcher sollte auf solcher Folie eigentlich wieder Ereigniswerden, exzeptionelle Situation, wo mehrstimmiger Satz sich wieder verdichtet (und dialektischerweise sich zurücknimmt!) zu einem der Natur abgelauschten Mysterium.
Als Re-Aktion zu der seit langem herrschenden Fetischisierung des
Klanges versteht der Verfasser diesen ausschließlich als dienend.
Klang wird hier nicht komponiert, sondern auf die Ebene der Interpretation
verwiesen.
Noch deutlicher: Es ist dem Komponisten recht sch...egal, wie seine
kontrapunktischen Orchesterwerke aufgenommen, filtriert, ausgeleuchtet, ---
ja uminstrumentiert werden, solange alle Maßnahmen sich ausschließlich
der Verdeutlichung des satztechnischen Gehaltes unterordnen.
Dies ist programmatische Position aus einem ganz einfachen Grund:
Das "Mindest-Haltbarkeits-Datum" musikalischer Kunstwerke liegt um so
später, je weniger sie auf modebestimmte und technologieabhängige
Produktionsweisen angewiesen sind.
Dies hat der Verfasser bei seinem großen Cembalo-Konzert op. 5schmerzlich erfahren müssen, dessen Aufführbarkeit auf das Vorhalten
ganz bestimmter "Revox"-Bandmaschinen und portablen "Telkom"-Rauschunterdückern
angewiesen ist.
Gleiches gilt für zeitbedingte Rezeptionsweisen, zu denen die
wechselnde Wertschätzung
"interessanter" oder "neuartiger" Klangfarben allemal gehört.
Grundsätzlich tendiert das "Verfallsdatum" umso stärker gegen Unendlich, je einfacher die Codierung ist, --- die "Zweistimmigen Inventionen" sind wohl niemals totzukriegen, --- geschweige denn die "Kunst der Fuge", für die es (bezeichnenderweise!) niemals eine "historische Aufführungspraxis" geben wird.
Der Großteil des Werkes des Verfassers besteht aus Klavierliedern und Klavierfugen.
Diese sind zumeist einem "espressiven Minimalismus" verpflichtet.
Warum nun in op. 14 bis op. 16 die Verwendung
eines (sehr) großen Orchesters, wenn diese eben nicht
aus den Möglichkeiten der Klanglichkeit begründet ist?
Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus einem Satztechnischen Konzept, welches
aus den ersten, jugendlichen Hörerfahrungen des Verfassers stammt:
Die Studio-Fassungen seiner damaligen Lieblingswerke
(Produktionen von
u.a. Genesis, Pink Floyd, Can, Gong,
Emerson, Lake and Palmer, etc.)
verwenden
nämlich teilweise Satz- und Klang-Techniken, die unter
Verwendung des Mischpultesund der Mehrspur-BandtechnikKlangräume aufbauen, die eine ausgesprochene Tiefenperspektiveaufweisen, --- allein dadurch, daß auch komplexeste Begleitfiguren
in künstlicherweise stark gedämpfter Dynamik, ja fast an
der Hörschwelle, im ppp-Hintergrund gerade mal zu ahnen sind.
Was Beethoven in den letzten Quartetten anstrebt durch das
Mittel der sub-kutanen motivischen Integration bei gleichzeitiger
thematischer Dis-Integration, nämlich den Hörer durch das Konstruieren
eines jedesmal etwas genauer zu hörenden "Geheimnisses" die Werke
immer und immer wieder aus Neue als Spannendes hörbar zu machen, erreicht dieser
"Trick" auf etwas einfachere Weise.
Mit zunehmender Verfügbarkeit der Technologie drang griff nun Verfahren weiter
um sich,
14
bis zuletzt selbst der billigste Schlager nicht mehr
mit weniger als vierzig Klangspuren
abmischbar zu sein scheint.
Der hier propagierte orchestrale Satzstil nun greift diese Tendenz auf und versucht, sie zu Ende zu denken: Statt Füllseln und Begleitfiguren werden (selbstverständlich ;-) strenge Kontrapunkte aufeinandergetürmt, --- bis hin zur realen Zwölfstimmigkeit, welche als Simultanität verschiedener dreistimmiger Kanons organisiert wird, wie in der Coda von III/3, --- ein gleichsam "venezianisches" Vorgehen, welches aber auch (selbstverständlich von ganz anderen Prämissen ausgehend) ähnlich in Werken von Messiaenund Ligeti anzutreffen ist.
Grundsätzlich ist in meinen Werken alles, was als Hintergrund, Füllsel und Begleitung erscheint, stets durch strenge motivische Ableitung organisch begründet.
Dual zur Generierung von Akkordik durch Stimmführung im Kleinen, entsteht hier im Großen ein klanglich/akkordisches Phänomen durch einfaches Loslassen der Eigentendenzen der Linearität.
Die Textdisposition der Zweiten Sinfonie op. 15, der einzigen
mit Gesangsbeteiligung, ist in ihrer tiefsten Schicht durchaus
dialektisch: Zunächst werden aus den bekannten "Sieben Letzten Worten"
derer acht, durch die Hinzunahme der Doxologie als deren letztes.
Damit aber (a) sind die gemeinten "letzten Worte" nicht die
"unseres Erlösers am Kreuze", sondern die des einwilligenden Menschen
in seiner Grenzsituation,
und (b) wird konzidiert, daß die Realität Gottes nur auf der Ebene
des Konzeptes eine allen Menschen guten Willens gemeinsame
Realität konstituieren kann.
Nun aber tritt das (hier) siebente Wort "Es ist vollbracht" im ausgesprochenen Text
gar nicht mehr auf, sondern wird, in einer Art Zusammenschau des
gesamten vorangehenden Sinfonie-Lebens, nur vom Orchester ausgedeutet.
Die Programmatik ist somit hier, wie allemal, eine utopische: Nichts ist vollbracht, sondern Menschwerdung bleibt uns allen historischer Auftrag.
Zusammenfassend läßt sich sagen:
Der Verfasser stellte sich in jugendlicher Unbekümmertheit, in Naivität und
Größenwahn, schlichtweg in einen Kontext inhaltlicherEntwicklung,
ohne, in voller Überzeugung der inhaltlichenRichtigkeit seines
Handelns, auch nur einen Gedanken zu wenden an die --- eigentlich unübersehbare
--- Tatsache, daß die praktischenRandbedingungen kompositorischer
Produktion sich grundlegend gewandelt hatten, --- daß also diesen Werken kaum
eine konkrete Wirkungsgeschichte würde zuteil werden können.
Alle seine Werke sind somit direkte Opfer an welche Götter auch immer.
Als Schluß mag man ziehen:
Entweder sind die Orchestersinfonien
op. 14 bis op. 16, ---
als die Erfahrungen mit "heavy metal", "symphonic rock" und "pop-sound-Techniken"
durchaus reflektierend und aufhebend, --- paradigmatische Kompositionen
für die Zeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts, oder sie sind
ein grundlegender Irrweg.
Allemal aber sind sie Arbeiten, die der Verfasser damals meinte, verfertigen
zu müssen.
1
Solche "hypothetischen" Entwicklungslinien wie die o.e. sind somit
oftmals lediglich behauptbare und zweckmäßige Arbeitsbegriffe für eine (weitgehende!) Abstraktion
von der tatsächlichen ablaufenden Kommunikation, welche durch
den allgemeinen "Kleinmeister-Sumpf" vermittelt ist:
Die großen Namen der einzelnen Sub-Epochen bringen halt die
Tendenzen der "allgemeinen Gärung" lediglich "auf den Punkt", ---
ihre (teils scheinbare) gegenseitige Kommunikation, ihre
gegenseitige Bezugnahme und Beeinflussung erfolgt häufig tatsächlich
indirekt,--- dadurch,
daß sie aus demselben "Zeitgeist" schöpfen.
2
Nietzsche hat ja bei aller Abwendung und Ablehnung nie
davon Abstand nehmen können, bis zuletzt Wagner --- und
das mag den unvorbereiteten Hörern und Hörerinnen
nun doch sehr befremdlich erscheinen
--- wegen seiner
Sparsamkeit und Meisterschaft im Minimalistischen rühmen zu
müssen!
3
Durchweg und allemal alte Rechtschreibung!
4
Im Kopfsatz der Dritten dann steht dem schon allein die zeitliche
Ausdehnung entgegen.
5
welches der folgenden Darlegung nach ein zutiefst dialektisches ist!
6
Aber vielleicht war das ja zu allen Zeiten so ?!
7
Das oft genannte Bedürfnis nach "Selbstverwirklichung" oder
"Selbst-Ausdruck" des/der Schaffenden
ist wohl auch häufig anzutreffende Motivation,
diese aber in diesem Gesamtkontext wohl lediglich
(vom "Weltgeist" benutztes) Mittel zum Zweck und an sich und als solche
höchlichst irrelevant, wenn nicht gar ethisch verwerflich.
8
Die einzelnen Arbeitsvorgänge überlappten sich, und der
genaue Rhythmus der Erstellung von MS, PE und P scheint nicht mehr nachvollziehbar.
9
Bezgl. der Intention des folgenden Textes erhebt sich der Einwand,
daß sinnvolle Äußerungen zu musikalischen
Gegebenheiten eine viel weitergehende
analytische Tiefe erfordert, die den hier gegebenen Rahmen
durchaus sprengte. So ergibt sich, daß einige der im folgenden auftretenden
Anknüpfungspunkte an die besprochenen Werke die sprachliche Form der allerschlimmsten
Vulgär- und Pseudo-Analyse annehmen, nämlich die der "diachronen Beschreibung"
("Und dann kommt wieder das X-Thema, nun mit neuer Begleitung, gefolgt von ...").
Diese beschreibenden Passagen sind hier bitte nur nur als "Identifikatoren"
oder "Anschriften" zu verstehen.
10
...und welche nun in eine Steigerungsfläche
in der Coda disloziert wird.
11
Die teilweise immer noch anzutreffenden
Auseinandersetzungen von AnalytikerInnen, ob eine bestimmte Taktgruppe
als z.B. "noch Df" oder "schon Rp" aufzufassen sei, ob ein bestimmter
Klang als "D" oder "T" zu deuten sei, etc., und welche
teilweise mit massiven Argumenten streitbar ausgefochten werden,
zeigt u.E. ein grundlegendes Mißverständnis der Funktion des
Form-Begriffes und der analytischen Tätigkeit:
Unmittelbar wirkmächtig, komponiert und Semantik tragend
ist innerhalb des entsprechenden Werkes ja gerade diese Ambiguität,
gerade die Tatsache, daß das Kaleidoskop des menschlichen Wahrnehmungsvermögens
verschiedene theoretische Interpretationen zuläßt, und damit
eine konkrete Mehrschichtigkeit im Erlebnisvorgang, welche diese theoretischen
Disskussion ja erst induziert.
Alle Analysen, so sie nur nachvollziehbare Argumente für ihren Standpunkt aufzeigen,
haben allemal alle zugleich "recht", und gerade daß macht die in Rede stehenden
Werke ja erst "interessant" und bedeutungs-voll.
12
siehe "senza-tempo", Nr. 3 f.
13
...eines neben vielen anderen,
vom Verfasser duchaus bewunderten, aber halt nicht praktizierten Konzepten.
14
Das "New Wave", der "Punk" und die "NDW" können u.a. als
explizite Re-Aktionen auf diese Tendenz verstanden werden.
made
2014-01-10_16h53
by
lepper
on
heine
produced with
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and
XSLT