Vom Wesen des Waldwebens
Anmerkungen zu der Markus Dräses Projekt "Plänterwald"
, November 2016
Malerei ist eine Wissenschaft und sollte als Untersuchung der Naturgesetze betrieben
werden. Warum nicht die Landschaftsmalerei als einen Zweig der Naturphilosophie
betrachten, bei dem die Bilder nur die Experimente sind?
(John Constable)
Immer schon ist "Der Wald" ein dominierender Sehnsuchtsort der deutschen Künste, quer durch alle Gattungen, Stile und Zeiten. (An Gewicht mit ihm aufnehmen kann es wohl nur sein Gegenteil, der Wunsch, unter römischen Ruinen und sanft winkenden Pinien im warmen Sand sitzend aufs blaue Mittelmeer zu blicken.)
Zwar hat sich das Verhältnis zum "Deutschen Wald" im Laufe der Jahrhunderte
deutlich verändert, denn was hat die bittere Armut von Köhlern und Holzsammlerinnen
mit Wanderparkplätzen und glasfaserverstärkten Nordic-Walking-Sticks gemein?
Um so auffälliger, dass
ein affirmatives, positives und heimathliches Grundgefühl bei allen existentiellen
Unterschieden doch eine Konstante zu bilden scheint.
Gibt es dafür Gründe?
Es gibt einen ganzen Strauß sehr verschiedenartiger Mechanismen, die unser Verhältnis zum Wald definieren, von denen hier nur wenige angesprochen werden können. (Vielleicht sind sie ja sogar generell unerschöpflich?)
Aufschlussreich zunächst das Buch von Peter Wohlleben Das Geheime Leben der Bäume. Nicht nur die existentielle und niederfrequente Kommunikation der Bäume untereinander scheint sich dem menschlichen Unterbewußten zu übertragen, sondern allemal die von ihnen ausgesandten "Glückshormone", die nachweisbar seelisch ausgleichend und gesundheitsfördend wirken.
Besonders viele temporale Aspekte bestimmen unser Verhältnis zum Wald: das ehrwürdige Alter der Individuen, ihre Narben und ihr Gedächtnis; das Alter des Bodens, der vor Urzeiten aus Abgestorbenem sich gebildet hat, und jeden Herbst weiter sich bildet; die scheinbar unerschöpfliche Quelle, der scheinbar auf immer lastende Fels, konstrastieren mit dem unaufhaltsamen Erneuern, Heranwachsen, Reifen, Absterben. Dies alles ist zwar zunächst erfahrbar konkret durch die Sinnlichkeit, durch Farbe, Konsistenz und Geruch. Der weitergehende Gehalt aber wird eher vermittelt über eine Begrifflichkeit, durch Nachdenken und Abstrahieren, durch Bildung und Reflexion, wenn diese alle vielleicht auch ins Unterbewußte eingesunken sind wie das Totholz vom Vorjahr in den Blätterboden.
Aber es gibt auch konkret nachweisbare optische Phänomene, die den Wald als Sehnsuchtsort mitkonstituieren, und die vielleicht direkter wirken, für unser Thema allemal:
Eine grundlegend wichtige strukturelle Eigenschaft ist die
Fraktalität:
Das Große ist ähnlich dem Kleinen; der Baum ähnelt dem Ast, der Ast dem Zweig,
der Zweig dem Zweiglein,
und das dann den Rippen des Blattes.
Die Krone dem Blatt, der Farn seinem Finger und Fingersfinger, der Stamm der Rippe und
Rippesrippe.
Die ausgewaschene Schmelzwasserrinne am Rande des Hohlwegs dem Hohlweg, der Hohlweg der Schlucht,
die Schlucht dem Sprung im getrockneten Schlamm. Die Steinbrocken in der Hohlwegswand
dem Kletterfelsen jenseits der Schlucht, und das Moosbüschel am Boden gar dem
Waldesrand am Horizont.
Diese Selbstähnlichkeit eröffnet Märchenwelten: Zwerge und Riesen werden wahrscheinlich, wo des Wanderers Fuß mit einem Tritt ganze Flussdeltas planiert oder erschafft.
Eine wichtige epistemologische Folge daraus ist das Verwischen der erkennbaren
Abstände: naher Busch und ferner Baum sind ähnlich, verwandt und verwechselbar.
Ist das da ein Ast eines fernen Riesen oder ein Zweig auf halber Strecke?
Die breiten Blätter
in der Ferne vermischen sich mit dem
fein Gefiederten vorne; auch das Scharfstellen des Augapfels kann das nicht mehr
aufklären. Dem Betrachter bleibt nur zu kapitulieren und den Blick entspannt in
die Unendlichkeit zu richten.
Das beruhigt!
Zunächst.
So lange man's nicht malen muss.
Notabene sollte hier nur von "Quasi-Fraktalität" geredet werden; die mathematisch wahre Fraktalität setzt voraus die Unbegrenztheit der Fortsetzung der Unterteilbarkeit, die Unendlichkeit der Ähnlichkeit im Kleinen. Diese aber genau vermutet die menschliche Anschauung; aus der Selbstähnlichkeit wird auf die Fraktalität geschlossen; das Unendliche wird scheinbar anschaulich.
Eine viel konkreterer, da sinnlich wahrnehmbarer Effekt ist hingegen das Waldweben:
die zitternden Bewegungen allerorten, in all diesen verschiedenen Tiefenschichten, bilden
nämlich Interferenzen aus. Diese erscheinen der menschlichen Wahrnehmung als
geriffelte Flecken, die sich durch das Laub schieben, oder als wandernde Wirbel,
oder werden gar reifiziert als Rauch, Dunst oder Nebel, der zwischen den tiefengestaffelten
Vegetationsflächen irgendwo seine Kreise zieht, mal weiter vorne, mal entfliehend,
aber immer ungreifbar.
Undgreifbar, da virtuell, aber deutlich sichtbar, zum Verrücktwerden.
Nicht nur Riesen und Zwerge, auch Feen wohnen im Wald. Und tanzen, uns zum Spott.
All unsere Wälder sind seit ca. einem halben Jahrtausend schon Baum-Plantagen, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten angelegte und gesteuerte Forstbetriebe. Nix mit Romantik. Geschilderte Effekte erscheinen nur dort, wo verschiedene Größenskalen aufeinander treffen: am Waldrand, zwischen Feld und Busch, im Umkreis nicht bewirtschaftbarer Einschlüsse wie Felsen oder Tagesbrüche, an den Grenzen der Altersklassenfelder. Oder halt im Plenterwald, wo es den Bäumen erlaubt ist, in munterer Mischung heranzuwachsen, und aus dem immer nur selektiv, nicht großflächig, die herangereiften Individuen geerntet werden.
Ein solcher Plenterwald (namens "Plänterwald") im Süden Berlins ist der Gegenstand des Projektes von Markus Dräse, ein Zyklus von ca. fünfzig Blättern, im Übergang von Zeichnung zu Malerei, entstanden von Mitte Juni Juno 2016 bis Ende August.
Kann man den Zyklus als ganzen betrachten, wie es dem Verfasser vergönnt war, so beginnt dieser mit einer Übersichts-Skizze in Bleistift, einer einhundertachtzig Grad-Ansicht des Waldes, deren interessantesten Segmente im folgenden abgebildet und erforscht werden sollen.
Dahinein fügen sich nun die folgenden Blätter, die unübersehbar einen Prozess bilden. Es beginnt mit weiteren Bleistift-Skizzen. Diese werden bald abgelöst von schwarz-weißer Ölkreide, die zunehmend Grautöne bringt, und über das schrittweise Einführen der Farben, beginnend mit, wer hätte es gedacht, Grün und Braun, am Ende der Entwicklung zu geradezu hymnischen Farbexplosionen führt. Die aber, folgt man dem Prozess aller Blätter, durchaus logisch, ja, notwendig erscheinen, nicht aufgesetzt, sondern aus dem Innern kommend, und die Luft und den Duft und die herzzereissende Freude des Naturerlebnisses gleichsam verherrlichend herausrufen.
Unterwegs gibt es Seitenwege, Ausprobiertes, Verworfenes,
auch Mißlungenes. Und das muss so sein, denn dieses Projekt ist ein experimentelles!
Das erstaunt!
Denn in der Tat ist ja die "Landschaftsmalerei" eine wohl etablierte, entwickelte und
erforschte Disziplin, und "Waldstücke" gibt es ja nicht wenige.
Schaut man aber genauer hin, sieht man die Unterschiede: der zeitgenössische
analytische Blick des Malers Dräse, der tatsächlich die Tiefenschichten,
Interferenzen, Wahrnehmungseffekte problematisiert und mit malerischen Mitteln
zu rekonstruieren versucht, hat seinen Ursprung in der historischen Entwicklung,
die nicht zuletzt durch die Experimente Cézannes vorangetrieben wurde.
Diese Methoden wurden auf Berge, Felder, Meere und Blumenstilleben angewandt,
aber überraschend selten auf die oben geschilderten Waldstrukturen!
Noch am ehesten in der japanischen Tuschzeichnung, -- aber dort steht, nicht ohne
Grund, das Individuum im Zentrum der Forschung, der eine(1) Baum, vielleicht wurzelnd
auf dem einen(1) Felsen.
Im Werke Caspar David Friedrichs ist Wald omnipräsent, -- aber als Folie, als
Symbol, als Bedeutungschiffre, gemalt
eher flächig und global denn perspektivisch und fraktal.
Das Problem von Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund und ihrer fraktalen Vermittlung wird
nur selten thematisiert,so in einigen Werken von
Carl Blechen, und bei Adolph von Menzel
(nicht verwunderlich bei dessen Vielseitigkeit!-)
Von den großen europäischen nicht-deutschen Klassikern eigentlich nur bei Constable und
Gainsborough
(die anderen Engländer bevorzugen Wasser!-), und natürlich Corot.
Alles in allem viel Wichtiges, aber insgesamt überraschend wenig!
Als systematischer Erforscher der Wald-Wahrnehmung mit den reflektierten
Mitteln der zeitgenössischen Darstellungstechniken scheint Dräse allemal
als einer der Pioniere.
made
2016-11-23_21h19
by
lepper
on
linux-q699.site
produced with
eu.bandm.metatools.d2d
and
XSLT